geworden, wenn sich nicht von Anfang an alles dagegen gestemmt hätte. Zu Hause — ich kann meine Eltern doch heute noch nicht recht begreifen —; Eltern sollen doch froh sein, wenn ihre Kinder viel wollen, und sie sind immer nur entsetzt. Ich habe wohl kein Wort so gehaßt wie das: Es geht nicht. — Es ist das unwahrste Wort, das es gibt. Und später, ja, hätte der liebe Gott mir nicht dies Kranksein geschickt, mir wieder eine Kette an den Fuß gehängt — —, denn darüber gibt's wohl keine Täuschung: Ein ganz gesunder Mensch werde ich nie wieder, wenn ich auch nach außen hin so tue und so lebe.
Und das ist doch das einzige, wirkliche Unglück, das einen treffen kann. Aber ich habe immer noch nicht gelernt zu sagen: Es geht nicht.“
September
„Zwischendurch ein paar Tage in der Stadt. Ein Abend mit Bel-ami. Der ist wie ein Anker in der Brandung, er weiß wohl ungefähr, wie ich lebe, aber wir reden nicht davon. Wir zwei verlieben uns nicht ineinander, auch nicht vorübergehend, kommen uns auch freundschaftlich nicht näher, es liegt eine weite Ferne zwischen uns, und die geringste Übertretung würde alles zu nichtemachen.
Er schlief wieder ein auf seinem gebrechlichen Lehnstuhl. Es wurde immer später, und ich versuchte ein paarmal, ihn aufzuwecken. Es ist etwas Eigenes, jemand schlafen zu sehen — bei diesem ist's, als ob der wirkliche Mensch dann erst zum Vorschein käme, seine Züge bekommen etwas Zerwühltes, Gequältes, er sieht aus, als ob er nie jung und froh gewesen wäre.
Ich weiß wenig von seinem Leben, aber ich denke manchmal, daß er ebenso ruhelos ist wie ich, sein Gesicht sagt es, wenn er schläft. Vielleicht hält uns das zusammen —, obgleich wir es uns niemals eingestehen würden. Schließlich werde ich auch müde, lege mich aufs Bett. Dann und wann wache ich auf und sehe mich um: dieser elende Raum ohne alle Behaglichkeit — der große, wüste Tisch, auf dem all meine Sachen liegen, weil ich keine Schubladen habe — die Lampe
Fanny Gräfin zu Reventlow: Ellen Olestjerne. München: Albert Langen, 1925, Seite 691. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reventlow_Werke_0691.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)