vorbei — schwere Donner rollten draußen im Finstern, durch die Glastür flammten Blitze und drinnen taumelten zwei Menschen durch Abgründe von Qual. — Reinhard stand vor ihr, schüttelte sie: „Besinn' dich doch, sag' mir, daß alles Wahnsinn ist.“
Waren sie nicht beide wahnsinnig geworden? Saßen sich mit irren Blicken gegenüber und redeten zerrüttete, unmenschliche Dinge? Und eine spukhafte, verzerrte Wirklichkeit um sie her? Sie hörte seine Stimme, die nur noch wie dumpfes Stöhnen klang, und ihre eigene in gebrochener Klanglosigkeit: „Nein, es ist wahr, Reinhard, es ist wahr, es ist alles wahr.“
Dann wieder lag sie im Lehnstuhl, er drüben auf dem Bett in betäubtem Schlaf — die Nacht war vorbei, und der Morgen brach durch die Scheiben —: ein blutiger, zerstörter Morgen. Sie versuchte sich aufzurichten, zu atmen — ihr Körper war wie in glühendes Eisen eingeschnürt.
Wieder hielt der Zug, Menschen kamen und gingen, für einen Augenblick zerrissen die tanzenden Gewebe vor ihren Augen — gegenüber war ein Platz frei geworden und Ellen versuchte, die Füße hinaufzulegen.
„Es geht nicht,“ sagte sie ganz laut und immer wieder schlug ihr Kopf gegen etwas an.
„Sind Sie krank?“ sagte eine fremde Stimme. Sie sah sich um, da saßen zwei junge Mädchen und ein Mann — große, weiße Strohhüte flatterten wie Vögel. Jemand schob ihr ein Kissen unter den Kopf. Ellen schlief und wachte auf, schlief wieder ein, das Kissen verschob sich und wurde zurechtgerückt. Einmal fiel es ganz hinunter, sie schlug die Augen auf und fragte:
„Ist es schon Abend — gibt es denn kein Wasser?“
Dabei fühlte sie, wie ihre Zähne aufeinanderschlugen. Dann gab man ihr etwas zu trinken, aber es war nur Feuer, was sie hinunterschluckte.
„Sie haben ja Fieber,“ sagte wieder die Stimme, oder waren es viele Stimmen, und eine Hand legte sich um ihre. Ellen fühlte, wie ihre Adern gegen die fremden, kühlen Finger hämmerten.
Endlich stand der Zug still — in München. Über dem Menschengewühl in der Halle strich kühle
Fanny Gräfin zu Reventlow: Ellen Olestjerne. München: Albert Langen, 1925, Seite 679. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reventlow_Werke_0679.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)