Und jedesmal fragte Reinhard wieder: „Was ist dir? — Sag mir doch, was dir ist.“
Als sie abends wieder auf dem Balkon standen, war es beklemmend schwül, und schwere Gewitterwolken hingen am Himmel.
„Da ist er wieder!“ und Ellen faßte unwillkürlich nach seiner Hand. Derselbe unheimliche Bucklige kam aus dem Gebüsch, sah sich nach allen Seiten um und zu ihnen hinauf, riß Blumen ab und verschwand.
Dann waren sie ins Zimmer zurückgegangen und saßen auf dem Sofa, die Tür stand offen und in der Ferne donnerte es.
Ihre Zeit war um.
„Reinhard, nun ist unser Sommer zu Ende — morgen geh' ich fort von dir.“
„Ja,“ sagte er traurig, „aber vielleicht bleibt uns noch ein Tag, wenn du in München gewesen bist. Eigentlich wäre es mir lieber, selbst mitzufahren.“
„Nein, es bleibt uns kein Tag — ich gehe fort für immer.“
Ellen fühlte plötzlich, daß sie sich verwirrte, und wiederholte es noch ein paarmal, bis sie sein Gesicht dicht vor sich sah und seine Stimme hörte, die fast wie ein Schrei klang: „Was heißt das? Bist du wahnsinnig geworden?“
„Nein —, Reinhard —, aber es war meine eigne Geschichte, die ich dir gestern erzählte.“
Am nächsten Morgen war Ellen allein in der Bahn, bei glühender Sommerhitze und überfüllten Kupees. Wie sie dahin gekommen war, wußte sie selber kaum, nur daß sie einen endlosen Tag immer weiterfuhr und fremde Menschen wie in weiter Traumferne sprechen hörte. Sie fühlte nichts wie einen schweren Druck im Kopf und folternde Schmerzen, die bis zum Hals hinaufstiegen, wie glühende Nadelstiche. Dann und wann hielt der Zug, und sie schrak aus dem Halbbewußtsein empor, sah ein Stück Tageswirklichkeit vorübergleiten, und verwirrte Gedanken wollten durch die Betäubung brechen.
Dunkle Bilder der vergangenen Nacht zogen an ihr
Fanny Gräfin zu Reventlow: Ellen Olestjerne. München: Albert Langen, 1925, Seite 678. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reventlow_Werke_0678.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)