erste Rausch und das erste Aufatmen in voller Freiheit mit sich gebracht hatte, war zur unerbittlichen Leidenschaft geworden. Seit sie nach wochenlanger Trennung zum erstenmal wieder in Henryks Armen lag, wußte sie, daß sie ihn liebte und daß es kein Entrinnen mehr gab. Sie wußte jetzt auch, daß die Liebe kein Sommerglück sein konnte, kein jubelndes Aufgehen in dem andern, — nichts von alledem, was sie früher darin finden wollte, — nein, die Liebe war eine blinde, wütende Sturmflut, die alle Dämme niederbrach, und da gab es kein Fragen mehr, kein Überlegen, was mit fortgerissen und was gerettet werden konnte. Es kam ihr nicht in den Sinn, Henryk für sich besitzen zu wollen, sein Leben mit ihm zu teilen; er war kein Mann, mit dem man an „Glück“ hätte denken können. Das sah sie alles und wußte es wohl, aber ihre Liebe dachte nicht an Fragen und Verlangen. — Dabei lernte sie immer tiefer in ihn hineinsehen, fühlte all das zerrissene Schwanken, das auch in ihm war. Er konnte andern geben, was er selbst nicht hatte, wonach er in ewiger Unruhe rang und jagte.
Oft fuhr er mitten in der Nacht auf: „Jetzt muß ich arbeiten!“ Dann stand sie ihm Modell, stundenlang —, er arbeitete wie ein Wahnsinniger und sprach von seinen Werken, die er schaffen wollte — mit immer glühenderer Phantasie. — Es war etwas Sinnloses, Ausschweifendes in seiner Art zu malen. Wenn er über die Skizze hinaus wollte, fing er an: „Diesmal soll es etwas werden, ich lasse nicht nach, bis es wird.“ Dann wollte er malen, wie noch kein Mensch gemalt hatte, in unerhörten Farben, — und es gelang nicht, gelang nie —, immer wieder begann er von neuem.
Wurde er schließlich müde, so gingen sie zusammen ins Café. Dort war im Nebenzimmer ein Klavier, und da spielte er endlos —, manchmal wild und leidenschaftlich, dann wieder ganz leise, traurige Melodien. Ellen saß auf dem harten Ledersofa, in eine Ecke gedrückt, die Töne klangen in ihrer Seele nach, und sie sah ihn an, — er wurde fast schön, wenn er spielte. Sie lebte alles mit ihm durch, zitterte um
Fanny Gräfin zu Reventlow: Ellen Olestjerne. München: Albert Langen, 1925, Seite 649. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reventlow_Werke_0649.png&oldid=- (Version vom 27.9.2016)