ich wieder gesund. Und ich war so stolz darauf gewesen, daß man ebensogut ohne Mittagessen leben könne. Und was nun? Nach Berlin gehen und mich füttern lassen — meine schöne Freiheit verkaufen? — Reinhard darf nichts davon wissen, ich schreibe ihm nur, daß ich ganz gut auskäme.“
5. November
„Das Modellieren aufgegeben — wir sollten diese Woche Halbaktreliefs in Lebensgröße machen, aber ich habe kein Geld, um Modell zu nehmen. Darüber geriet ich gestern so in Wut, daß ich den Ton herunterriß, die Modellierhölzer in alle Ecken warf und tobend abging. Die Dalwendt sagte mir nachher, daß unser Lehrer sehr erstaunt gewesen sei. So habe ich mich jetzt ganz aufs Zeichnen geworfen. Nachmittags stehe ich der Dalwendt Modell, weil sie auch keins mehr halten kann, und sie muß mir dafür einen Kaffee zahlen.“
8. November
„Oben im Haus, wo unsere Schule ist, wohnt ein polnischer Maler, mit dem Baldern befreundet ist. Er nahm mich gestern mit hinauf. Ein junger Mensch, der Maxl genannt wurde, saß auf der Erde; Zarek, der Pole, lag im Bett, und sie stritten wütend über Shakespeare. ‚Entschuldigen Sie, daß ich liege in Bett, ich bin schrecklich krank, aber sind Sie ja freies Weib.' Dann meinte er, ich sähe noch zu jung aus für ein Bewegungsweib, und ich bestritt auch, daß ich eines wäre. ‚Aber die kurzen Haare?' Ich sagte, daß ich mir die noch zu Hause hätte schneiden lassen, um nicht immer so verrauft von meinen Rendezvous heimzukommen. Das war noch in der letzten Seminarzeit. 'Sie haben Schatz gehabt, Fräulein?' — worauf ich ihnen erklärte, daß ich jetzt verlobt wäre, und das erregte einen förmlichen Sturm von Empörung.“
12. November
„Jetzt bin ich alle Tage droben, in den Pausen und oft auch abends. Da kommen viele Maler hin, meist
Fanny Gräfin zu Reventlow: Ellen Olestjerne. München: Albert Langen, 1925, Seite 635. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reventlow_Werke_0635.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)