Und in ganz kleiner Schrift am Rand: „Als traurigen Abschiedsgruß von deinem traurigen Leon.“
Ellen saß auf dem Koffer, die Karte in der Hand, und sah abwesend vor sich hin. Wehmütig lockend zog es wieder an ihr vorüber, die ganze frohe Zeit — sein Lachen — die Sommernachtsstunde vor dem Wirtshaus.
Dann hörte sie unten die Haustür gehen und viele Stimmen durcheinandersprechen. Lisa rief, und sie mußte hinuntergehen. Das Zimmer sah festlich aus mit Blumen und Weinranken und den grünen Römern auf weißgedecktem Tisch. Detlev ging herum, stellte sich vor und machte die Honneurs. Er umarmte Reinhard halb im Scherz als Schwager.
„Daß ihr euch verlobt habt — richtig verlobt. — Ich finde, Ellen ist ganz aus der Rolle gefallen — aber ich bin sicher, sie kommt doch mit einem Skizzenbuch unter dem Arm zur Trauung. Und jetzt wollen wir eine gehörige Orgie feiern, um der Sache etwas von ihrem Spießbürgertum zu nehmen. Nicht wahr, Lisa?“
„Ja, wenn Detlev Olestjerne nur Weingläser sieht, ist ihm jede Familienfeier recht,“ sagte die. Ellen war dem Bruder von Herzen dankbar, daß er mit seiner gewohnten Lebhaftigkeit alle ins Gespräch zog und immer wieder zum Lachen brachte, während sie sich um den Tisch sammelten, anstießen, einer von Reinhards Freunden am Klavier den Brautgesang spielte und Lisa sie der Reihe nach mit Weinranken bekränzte.
Ihr gingen immer noch Leons Verse durch den Sinn und sie lächelte etwas mühsam, wenn Reinhard sie ansah und fragte: „Fehlt dir etwas, Ellen, du bist heute so still?“
„München, 20. August
In München —. Ich kann immer noch nicht begreifen, daß es kein Traum ist.
Es ist etwas so ganz Neues, allein zu leben und nur mit sich selbst zu reden, und jetzt fühle ich erst, wie mir das not tat. Ich möchte mir doch endlich
Fanny Gräfin zu Reventlow: Ellen Olestjerne. München: Albert Langen, 1925, Seite 627. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reventlow_Werke_0627.png&oldid=- (Version vom 27.9.2016)