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Seite:Reventlow Werke 0624.png

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„Uns hat Gott geschieden,“ sagten sie einstimmig in feierlichem Ton und küßten sich vor aller Augen.

Während der langen Heimfahrt senkte sich allmählich eine matte Stimmung über die sonst so unermüdlich frohe Gesellschaft. Einer nach dem andern suchte sich einen bequemen Platz auf der Bank oder am Boden und schlief ein. — Der Schiffer legte die langen Ruder aus, um dem schwachen Wind nachzuhelfen — bei jedem Schlag leuchteten die durchschnittenen Wellen in grünlichem Schimmer auf, und von den Rudern rann es wie flüssiges, vielfarbiges Silber. Ellen saß mit Leon beim Steuer, er hatte sie in einen großen Mantel gewickelt und hielt sie an sich gedrückt wie ein kleines Kind. Sie sahen dem Meerleuchten zu und sprachen leise miteinander.

Erst nach Mitternacht kamen sie heim, einige zogen sich gleich zurück, um zu schlafen, die andern gingen durchfroren und in ihren nassen Kleidern zur Strandhalle. Sie alarmierten das ganze Haus, gingen selbst in die Küche, wirtschafteten am Schenktisch herum und deckten im großen Saal den Tisch. Wer wollte wohl an Schlafen denken, heute mußte noch bis zum Morgen gefeiert, Kälte und Müdigkeit weggejubelt werden. Und sie feierten und jubelten, und die Wellen der Freude gingen immer höher. Nach Tisch setzte Harry, der Opernsänger, sich ans Klavier und raste wilde Tanzmelodien herunter, die andern tanzten um die Tische, durch den Saal und zur Tür hinaus durch die Straßen. Mit gefüllten Gläsern klopften sie an die Fenster derer, die schon zur Ruhe gegangen waren und ließen nicht nach, bis sie wieder herauskamen und mittaten, meist in wunderlichen Kostümen, Schlafröcken oder rasch übergeworfenen Mänteln. Hier und da öffneten sich auch noch andere Fenster, und scheltende Stimmen wurden laut, denn in dieser Nacht kam keiner von den Badegästen zu einer ruhigen Stunde Schlaf.

Zwischendurch fanden Ellen und Leon sich auf der Bank vor dem Hause zusammen.

„Küsse mich, Kind,“ bat er immer wieder, „nur heute, nur heute noch, — laß morgen morgen sein.“

Empfohlene Zitierweise:
Fanny Gräfin zu Reventlow: Ellen Olestjerne. München: Albert Langen, 1925, Seite 624. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reventlow_Werke_0624.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)