Ach, hilf mir, Friedl, mir ist, als ob ich versinken müßte.“
20. August
„Seit zwei Monaten haben wir nun nichts voneinander gehört. Warum schreibst Du nicht mehr? — Und ich — was sollte ich Dir schreiben, immer das gleiche: Tag für Tag dieselbe Tretmühle, dasselbe Elend zu Hause.
Und wenn Du nicht antwortest, denke ich, daß meine Briefe Dich ermüden und langweilen.
Könnten wir doch noch einmal das vorige Jahr zusammen durchleben, es kommt mir jetzt vor wie ein Traum voller Frieden, und als ob es schon so lange her wäre. Es stimmt mich auch so traurig, daß Du und Detlev immer mehr auseinanderkommt.
In den Ferien war ich fort, jetzt wieder mitten in der Arbeit und mache Morgenspaziergänge mit Allersen.
Wann kommt ihr denn? — Leb wohl und auf Wiedersehen.
Deine Ellen.“
Kurz vor Friedls Rückkehr, an einem Septembermorgen, ging Ellen mit ihrem Freunde Allersen im Dom auf und ab. Die Kirche war ganz leer, die Sonne leuchtete durch die Bogenfenster, und droben spielte jemand auf der Orgel. — Sie blieben auf demselben Platze stehen, wo sie so oft mit Friedl gestanden hatte — der Mann neben ihr legte den Arm um sie, sie wollte sich wehren, losmachen, aber dann sahen sie sich an, und wieder schlug das heiße Verlangen in ihnen empor — sie fühlte seine Küsse brennen — dazwischen rauschten langgezogene Orgeltöne durch den Raum.
Ellen ging nach Hause — in die Schule, wie alle Tage, aber sie sah nichts von dem, was um sie herum vorging, glaubte nur immer wieder zu fühlen, wie er sie küßte, und hörte die Orgel wieder brausen. Ihr war, als ob eine Lawine auf sie zukäme, die sie mitreißen wollte, und sie wußte, es gab keinen
Fanny Gräfin zu Reventlow: Ellen Olestjerne. München: Albert Langen, 1925, Seite 580. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reventlow_Werke_0580.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)