Frühlingssturm in ihnen, jeder träumte von einem ungeheuren Lebenswerk, und sie alle hätten sich jeden Tag für ihr Lebensrecht und ihre Überzeugung hinschlachten lassen, wenn es nötig gewesen wäre.
Aber noch im Laufe dieses Winters schmolz der Ibsenklub immer mehr zusammen, und das war ein großer Schmerz. Olafson, der Apostel aus dem Norden, der die neuen Lehren zuerst in die würdige alte Patrizierstadt gebracht hatte, war wieder nach Paris. Nach Weihnachten ging auch Marga Seebald ins Ausland, von der Detlev sagte: Marga ist wie das Meer. Sie war älter wie die übrigen und die Seele der ganzen Gesellschaft mit ihrer größeren Reife und Erfahrung. Die anderen Schwestern verließen auch bald nacheinander die Stadt, und die Zurückgebliebenen mochten kaum mehr an dem Hause vorübergehen, das jetzt so leer und fremd dastand.
Das Frühjahr rückte heran. Detlev und Friedrich Merold steckten im Examen, dann war es bestanden, und sie sollten zusammen nach Berlin, um zu studieren. Die waren nun frei und hatten das Leben vor sich — alle, alle gingen sie hinaus, nur Ellen mußte zurückbleiben, einsam und zähneknirschend ihre Ketten schleppen.
Sie machten noch einen letzten Abendgang zusammen, sie und Friedl, während die Eltern wieder einmal ausgegangen waren. Detlev blieb diesmal zu Hause.
In einer Seitenstraße trafen sie sich und gingen durch die Vorstadt hinaus, verirrten sich in unbekannte Gegenden, stiegen über Planken und Gitter, quer über Höfe und Lagerplätze. Endlich waren sie draußen auf freiem Feld, weit fort von allen Menschen. Friedl saß am Grabenrand. Ellen lag mit dem Kopf in seinem Schoß und sah in sein Gesicht und in den Mond hinauf.
Beide waren still und traurig, ihnen war so schwer ums Herz, und die tiefe, stille Einsamkeit erfüllte sie mit Bangen.
Fanny Gräfin zu Reventlow: Ellen Olestjerne. München: Albert Langen, 1925, Seite 576. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reventlow_Werke_0576.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)