gelangen. Ein ehrlicher, offener Kampf würde mir gar nichts nützen, sie sperren mich dann höchstens noch mehr ein.
Und was das Leben so schön macht, kann nicht schlecht sein. Wo bliebe dann die Wahrheit? In all dieser verschrobenen Sittlichkeit und Moral ist ja doch kein Funke davon.
Ich lese jetzt gerade ‚Die Frau' von Bebel und Lassalles 'Leben'. Was ist das für ein Kerl, ich bin ganz weg, in den hätte ich mich wahnsinnig verliebt. Seine Flugschriften will ich jetzt auch lesen, Detlev hat sie ja.
P.S. Die Mutter hat Detlev gestern gefragt, ob er etwa mit zu diesem abscheulichen ‚Ibsenklub' gehörte, wo die Mädchen mit jungen Männern über unmoralische Sachen sprächen und zusammen Ibsen läsen. — Sie hat in einer Gesellschaft davon gehört. Natürlich waren Sven Olafson und die Schwestern Seebald damit gemeint, aber wer mag den Namen ‚Ibsenklub' aufgebracht haben?
Vielleicht haben wir Detlev jetzt bald so weit, daß ich die alle einmal kennen lerne. Übrigens hat Mama bei dieser Gelegenheit auch noch gesagt: ‚Friedrich Merold ist doch der einzige Nette von deinen Freunden.' — Sie scheinen also doch guten Eindruck gemacht zu haben.“
20. März
„Es ist morgens um fünf Uhr — beim Aufwachen fiel mein erster Blick auf die Blumen von Ihnen, die noch immer blühen. — Ich stehe jetzt immer so früh auf, um mehr Zeit für mich zu haben, und diese stillen Morgenstunden sind das schönste am ganzen Tag. Früher in Nevershuus lief ich oft so in der Frühe auf die Wiesen hinaus und manchmal heimlich durch die Stadt zum Strand. Es war so schön, ganz allein am Meer zu sein, ich habe oft noch Heimweh danach. Aber was hätte ich für ein Leben geführt, wenn wir dort geblieben wären — jetzt scheint doch wenigstens hier und da ein Lichtstrahl durch die Türspalte. Und das tut auch wirklich not. Gott,
Fanny Gräfin zu Reventlow: Ellen Olestjerne. München: Albert Langen, 1925, Seite 561. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reventlow_Werke_0561.png&oldid=- (Version vom 27.9.2016)