„Wie kannst du das sagen, Christian!“ Der Freifrau ging es wie den Kindern, sie hing mit allen Fasern an dem alten Schloß — vierundzwanzig Jahre — ihre ganze Ehe — die Kinder, die hier geboren und aufgewachsen — ihr Ältester, der hier gestorben war! Sie begriff doch nicht recht, daß ihr Mann sich so leicht loslöste, es wie eine Befreiung empfand, wie einen neuen Lebensanfang, von hier fortzukommen.
Marianne saß mit ineinandergelegten Händen und sah nur ihren Vater an — er war grauer geworden in den letzten Jahren, die Stirn noch höher und gefurchter, aber heute schien er ihr so verjüngt. Sie wußte am besten, wie er sich von jeher hinausgesehnt aus diesem engumschlossenen Leben, in das die Verhältnisse ihn gegen seine Neigung hineingezwungen hatten.
Durch die offne Tür sah man in den Weihnachtssaal, die Lichter waren längst heruntergebrannt, das Silber auf den Tannen schimmerte matt im Dunkeln.
„Ihr lacht ja heute gar nicht,“ sagte der Freiherr auf einmal, „was ist denn in euch gefahren?“ Sonst mochte es ihm manchmal zu viel werden, wenn seine junge Schar bei jedem vernünftigen Gespräch, bei jeder ernsten Lektüre unweigerlich im Chor losplatzte, besonders an Festtagen, wenn die Bowle auf dem Tisch stand. Aber er vermißte doch etwas, wenn sie so unnatürlich ernst waren.
Aber sie saßen alle und dachten, daß diese Weihnachten nun die letzten in der alten Heimat wären, da wollte kein Gelächter in Gang kommen.
L…, 3. März 1888
„Vor allem will ich Sie beruhigen, daß weder meine Mutter noch Detlev etwas von unsren Gesprächen gehört haben — sie schalt nur, daß ich zu viel mit Ihnen getanzt hätte. — Herrgott, wenn sie wüßte,
Fanny Gräfin zu Reventlow: Ellen Olestjerne. München: Albert Langen, 1925, Seite 557. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reventlow_Werke_0557.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)