irgendein Buch zu lesen, so weiß ich, daß er seinen Grund dafür hat. Und ich finde, es bleibt immer noch so viel Schönes, woran man sich freuen kann, daß das gar nicht in Betracht kommt.“
„Ja, aber hast du jemals gesehen, daß Mama mir etwas aus einem vernünftigen Grund nicht erlaubt? Sie verbietet nur, um zu verbieten, oder weil sie alles überflüssig findet, was mir Freude macht. Sie sagt, ich wäre faul und wollte nichts tun, aber warum läßt sie mich nicht malen? Es ist das einzige, was ich mir wünsche und was mir Freude macht. Dann würde ich mit Vergnügen den ganzen Tag arbeiten. Aber sowie sie mich mit einem Skizzenbuch sieht, heißt es: laß doch das alte Geschmier, es kommt ja doch nichts dabei heraus.“
Marianne zuckte die Achseln. „Mama ist nun einmal dafür, daß man nur nützliche Sachen tut, sie hat es auch nicht gern, wenn ich viel lese. Ich sage dir deshalb auch immer wieder, du solltest dich an Papa halten, der kann dir noch am ehesten helfen. Mir scheint immer, daß ihr Jüngeren ihn eigentlich gar nicht kennt.“
„Er kümmert sich nicht viel um uns.“
„Das würde er schon tun, wenn ihr nur wolltet. Ich habe dir doch gesagt, er wartet nur darauf, daß du kommst.“
„Das kann ich nicht — ich kann einfach nicht. Wofür soll ich ihn denn um Verzeihung bitten? Daß dies infame Tier von Pröpstin mich nicht leiden konnte? Ich möchte ihr heute noch den Hals umdrehen.“
„Ich auch,“ fuhr Detlev ingrimmig dazwischen; die Pröpstin haßte er mit.
Vor ihnen lag das Dorf mit seinen Strohdächern und dem niedrigen, stumpfen Kirchturm. Über den Heidehügel gingen sie zum Meer hinunter, und Marianne pflückte Blumen für Papas Schreibtisch. Dann saßen sie am Strand auf den großen Steinen, während die Sonne langsam ins Meer hineinrollte wie eine große brennende Kugel. Der Himmel loderte weithin auf, das Meer wurde rot, und die
Fanny Gräfin zu Reventlow: Ellen Olestjerne. München: Albert Langen, 1925, Seite 551. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reventlow_Werke_0551.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)