gerappst. Nun dürfen wir in der Freistunde nicht mehr hinunter und kriegen ins Zeugnis, daß wir gestohlen haben. Und so weiter — — Übrigens hab' ich jetzt eine Flamme, sie heißt Editha und ist bei weitem die Hübscheste. Ich schwärme sehr für sie und habe schon viele Gedichte auf sie gemacht. — Hoffentlich komme ich Michaelis in die erste Klasse, dann sind wir immer zusammen. Leider geht sie nächste Ostern schon ab. Ach Du, ich weiß nicht, wie ich es hier noch so lange aushalten soll und dann noch ein ganzes Jahr. Die Pröpstin kann mich nicht ausstehen, gerade wie Mama, und sie können alle nicht begreifen, daß man toben muß, wenn man vergnügt ist. Wir dürfen uns hier nur 'sittsam und anständig bewegen'.
Ich schicke Dir eine Karikatur von unsrer Mademoiselle, die andern finden sie sehr ähnlich. Ich zeichne überhaupt in allen Freistunden. Aber laß um Gottes willen nichts herumliegen.
Deine Ellen.“
„Nevershuus, Oktober 1885
Liebe Ellen, Deine Versetzung in die erste Klasse hat uns sehr gefreut und überrascht. Es ist mir sehr lieb zu hören, daß Du Deine frühere Trägheit abgelegt hast und gut weiterkommst. Nun sorge aber auch das nächste Mal für ein gutes Zeugnis im Betragen. Ich weiß, wie schwer es Dir wird, Deine Lebhaftigkeit zu zügeln, aber bedenke, daß Du jetzt am Konfirmationsunterricht teilnehmen und anfangen sollst, eine junge Dame zu werden. Wir müssen uns alle mehr oder minder in das Leben schicken.
Sei herzlichst gegrüßt von Deinem Vater.“
„A…, November 1885
Liebster Detlev, eben hab' ich den Diener auf der Treppe erwischt, und er will mir den Brief besorgen. — Es hat eine große Mordsgeschichte gegeben, und wäre nicht die ganze Klasse dabei gewesen, so hätte man mich und Editha sofort geschwenkt. Die
Fanny Gräfin zu Reventlow: Ellen Olestjerne. München: Albert Langen, 1925, Seite 537. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reventlow_Werke_0537.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)