Rittersaal, die Treppe hinunter und über den Hof bis zur ersten Laterne.
Die Geschwister wohnten nebeneinander und die Tür zwischen ihren Zimmern stand immer offen. Wenn sie im Bett waren, kam die Mutter heraus und betete mit ihnen. An diesem Abend konnte Ellen kaum ein Wort herausbringen und war in Todesangst, daß Mama böse würde. Die sagte aber nur:
„Ich finde es auch schade, daß Geerd fort ist, aber nun muß das viele Herumtoben wirklich aufhören.“
Mama fand es auch schade — das rührte Ellen so, daß sie sich nur mit Mühe beherrschte. Als die Mutter wieder hinunterging, schlich sie sich leise zu Detlev hinein und setzte sich auf sein Bett. Sie umarmten sich immer wieder und weinten zusammen, dann sprachen sie noch lange von Geerd und wie nun alles verödet war ohne ihn.
Seit Geerd fortging, war für Ellens Kinderzeit die beste Freude verloschen, und sie suchte mit tiefem Verlangen nach etwas, das ihr Leben wieder so ausfüllen sollte.
Detlev kam nun auch aufs Gymnasium, er fand neue Freunde, die meistens rasch wechselten; die alte Kameradschaft zu dreien kam mit keinem mehr recht zustande. Die Mutter schränkte Ellens Freiheit auch immer mehr ein, sie fand jetzt mit einemmal, daß sie sich früher zu wenig um das Mädchen gekümmert hatte, und zwang sie viele von den schönen freien Nachmittagen mit einer Näharbeit im Wohnzimmer zu sitzen. Und Ellen haßte diese Art von Beschäftigung mit verzweifelter Unlust, es war fast noch schlimmer, wie Lernen. Ihr ganzer Tag bestand aus immer neuen Versuchen, diesen beiden Übeln zu entrinnen. Wo sie nur konnte, stahl sie sich fort auf die Koppel hinaus, wo der Wind durch die mächtigen Baumkronen strich. Da hörte sie nicht, wenn die Mutter sie rief, und fühlte sich eine kurze Weile sicher vor ihr. Und ihre Seele klammerte sich
Fanny Gräfin zu Reventlow: Ellen Olestjerne. München: Albert Langen, 1925, Seite 528. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reventlow_Werke_0528.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)