Manchmal seufzte Marianne dann im stillen mit: die Mutter ließ sich und anderen wenig Ruhe, und ihre rastlose Lebhaftigkeit hatte beinahe etwas Aufreibendes — es war keine Kleinigkeit, ihr immer das Gleichgewicht zu halten, besonders, wenn sie sich in Taten umsetzte. Mochten nun die Dienstboten etwas versehen haben, die Jungen mit schlechten Zeugnissen heimkommen, oder die Kleinen irgendein Unheil anrichten — immer war es Marianne, bei der sie Zuflucht suchten, die alles ausgleichen und vermitteln sollte. So atmete sie meist erleichtert auf, wenn der stürmische Vormittag vorüber war und die Mutter sich nach Tisch mit einem Buch ins Wohnzimmer zurückzog. Für Marianne kamen dann die besten Stunden des Tages, wo sie dem Vater bei seinen Schreibereien half, oder ihn bei seinen Rundgängen auf dem Gut begleitete.
Auch die jüngeren Geschwister wußten diese häusliche Nachmittagsruhe nach Kräften zu genießen. Es war die Zeit, wo sie ungestört allen möglichen verbotenen Unternehmungen nachgehen konnten — den alten Gärtner drüben im Nebenhaus besuchen, wo sie Kaffee bekamen und an seinen langen Pfeifen rauchen durften, oder die Dorfkinder, die schon lange wartend am Gitter standen, hereinlassen und mit ihnen am Graben Brücken bauen und Schiffe schwimmen lassen. Das Kindermädchen hatte noch zu tun, und wenn Erik dabei war, ließ man die Kinder ruhig eine Zeitlang ohne Aufsicht. Ellen folgte dem älteren Bruder durch dick und dünn und zog den kleinen Detlev an der Hand hinter sich her. Mit vereinter Anstrengung bekamen sie ihn über alle Gitter und Schwierigkeiten weg, und wehe ihm, wenn er schrie oder sie verklagte.
In diesem Sommer war das Nachmittagsglück nicht mehr so ungetrübt wie früher, denn seit Erik zur Schule ging, wurde er hochmütig, fing an, Ellen, die sonst seine unzertrennliche Gefährtin war, zu verachten, um sich zu den Großen zu rechnen. Sie hatte jetzt manches auszustehen — zuweilen fiel es ihm ein, ihr Unterricht zu geben, sie sollte ihm Geschichten
Fanny Gräfin zu Reventlow: Ellen Olestjerne. München: Albert Langen, 1925, Seite 507. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reventlow_Werke_0507.png&oldid=- (Version vom 27.9.2016)