Als nun vollends Württemberg im Jahre 1808 nach dem Vorgang Bayerns das mittelalterliche System der Straßenzölle verließ und zu dem Grundsatz der Verzollung an den Landesgrenzen und zur Zollgrenzbewachung überging, mußte das betrübte Ravensburg fast für alles, was es von auswärts bezog, den sehr gesteigerten württembergischen Zoll bezahlen und sah sich zugleich von seinem seitherigen Wochenmarktsdistrikt durch die vor den Toren der Stadt entstandene Zollgrenze so gut wie abgeschnitten. Selbst der Bauer vom Lande mußte das, was er in Ravensburg einkaufte, auf dem Weg in seine Heimat hoch verzollen. Zwischen den beiden Zollsystemen Bayerns und Württembergs eingeklemmt war die Stadt auf dem Punkt, in ihrem Nahrungsstand vollends erdrückt zu werden.[1]
Nun half die bayrische Regierung allerdings, was ihren eigenen Zoll anbelangte, den Klagen Ravensburgs großenteils ab, indem sie dieses aus dem bayrischen Mautverband, in welchen es den 1. Juni 1808 einbezogen worden war, ein Vierteljahr nachher wieder entließ, aber der württembergische Zoll mit seinen schwerwiegenden Folgen blieb natürlich bestehen.
- ↑ [S. 16, Anm. 1:] Die bayrischen Zoll- und Mautordnungen vom 1. Dezember 1807 und 8. März 1808 hatten Ravensburg, weil vollständige Exklave, von dem bayrischen Mautsystem ausgenommen und als Zollausland behandelt. Das bedeutete für die meisten ravensburgischen Gewerbs- und Handelszweige eine Wohltat, d. h. das kleinere von zwei Übeln; nur nicht für die Papiermüller und Seifensieder. Diese waren jetzt übel daran, weil sie nämlich ihre unentbehrlichen Rohstoffe, einerseits Lumpen, andrerseits Unschlitt und Asche sich nicht mehr beschaffen konnten, indem Württemberg die Ausfuhr jener Stoffe verhinderte und Bayern durch ungeheuer hohe Ausfuhrzölle die gleiche Wirkung hervorbrachte (der bayrische Lumpenausfuhrzoll von 60 fl. per Zentner überstieg den Wert des Gegenstandes um mehr als das Doppelte). So konnte das Ravensburger Papier jetzt nicht einmal in Bayern selbst, noch weniger in Württemberg und anderwärts mit andern Papieren mehr konkurrieren. Den Klagen jener beiden Industriezweige glaubte die bayrische Regierung am besten dadurch abzuhelfen, indem sie (vom 1. Juni 1808 an) Ravensburg in den bayrischen Mautverband aufnahm. Da jetzt der Warenverkehr zwischen Ravensburg und dem übrigen Bayern mautfrei passierte, war den Papiermüllern und Seifensiedern geholfen. Sie waren nun in der Lage, ihre Rohstoffe ohne Zollbelastung oder andre Schwierigkeiten aus dem eigenen Lande zu beziehen. Dafür aber bedrohten jetzt die neuen Zollverhältnisse alle andern Handels- und Gewerbsleute der Stadt mit einem raschen Ruin. Fremde Handelsartikel, die von Ravensburg nach dem umliegenden Landbezirk verkauft wurden, unterlagen nunmehr nicht allein den gesteigerten württembergischen Zöllen, sondern auch der hohen bayrischen Maut. Ähnlich verhielt es sich mit den in der Stadt hergestellten Waren. Meistens unterlag schon vorher der Rohstoff einer drückenden Verzollung und falls das fertige Erzeugnis nachher an die Bewohner der Umgegend abgesetzt werden wollte, auch dieses. Die Ravensburger Geschäftsleute vermochten gegen die Konkurrenz der auswärtigen Orte und selbst gegen die der andern bayrischen Orte, die sich ja nicht in der exponierten Lage Ravensburgs befanden, nicht mehr aufzukommen, und die seitherigen Landkunden von Ravensburg wandten sich jetzt den Märkten und Firmen von Altdorf, Waldsee, Markdorf und Biberach zu. Infolge der jammervollen Vorstellungen des Gewerbe- und Handelstandes der Stadt stellte die bayrische Regierung mit dem 1. September desselben Jahres den vorigen Zustand wieder her, d. h. für die bayrischen Mauten galt Ravensburg (und Buchhorn) nun wieder als Ausland. Obwohl der Geschäfts- und Handelsverkehr mit dem die Stadt umgebenden württembergischen Gebiet durch die um Ravensburg gezogene Zollgrenze sehr viel litt, so war doch soviel erreicht, daß er jetzt wenigstens nicht mehr mit doppelten Ruten gezüchtigt wurde. Jetzt aber waren wieder die Seifensieder und Papiermüller diejenigen, welche die Suppe auszuessen hatten. Für sie bedeutete, wie schon ausgeführt, der frühere Zustand des Zollwesens annähernd den Untergang ihrer Geschäfte. Erst der zwei Jahre später erfolgende Herrschaftswechsel scheint jenen beiden Gewerben die Rettung gebracht zu haben.
Gustav Schöttle: Ravensburg und sein Verkehrsleben in den letzten dreihundert Jahren, 1911, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ravensburg_Verkehrsleben_16.jpg&oldid=- (Version vom 6.9.2019)