Erich Mühsam: Idealistisches Manifest. In: Alarm. Manifeste aus 20 Jahren, S. 46–53 | |
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den Krieg steuert, wenn die Soldaten sich weigern, ihresgleichen zu töten, wenn der Wille der Völker auf Frieden aus ist. Ich will Sozialismus und Anarchie. Ich weiß sie möglich, wenn Arbeit und Verbrauch in gerechten Ausgleich gebracht sind, wenn Ordnung und Friedfertigkeit in den Menschen Leben gewonnen haben, wenn Autorität und Gehorsam, Herrschaft und Knechtschaft aus der Gewohnheit der Völker gewichen sind. Sie werden weichen, wenn allenthalben aus der Sehnsucht nach Freiheit der Wille zur Freiheit geworden ist. Ich will Kultur und Kunst Gemeingut der Völker wissen. Sie werden es sein, wenn der Geschmack der Besten sich allen mitgeteilt hat, wenn die Ethik der Massen sich zum Anstand geformt hat, wenn aus Zwang und Strafe Rechtlichkeit und Verständigung geworden ist.
Aber für den Frieden sind alle Vorbedingungen nicht erfüllt. Die Völker haben ein natürliches Expansionsbedürfnis und bedrohen die Grenzen der Nachbarn. Gehorsamsverweigerung, Generalstreik, Revolution ziehen entsetzliche Strafen nach sich. Der Gedanke, das Raubtier Mensch werde in Ordnung und Verständigung miteinander auskommen, der Geschmack der rohen Masse könne umgeformt werden, Freiheit werde jemals etwas anderes sein als eine schöne Phrase, ist absurd und kindlich. Schon die Formulierung deiner Ideale ist ein Beweis, wie unabwendbar und naturgewollt alle die Einrichtungen sind, die du bekämpfst. Bitte: ich fordere nicht auf, – ich bekenne. Und ich suche meine Gefühle, die mir Wahrheiten sind, in das Gefühl der Nebenmenschen zu verpflanzen. Verstandeskühle Einwendungen können richtig oder falsch sein, – an der Erkenntnis dessen, was gut und recht ist, prallen sie ab.
Erich Mühsam: Idealistisches Manifest. In: Alarm. Manifeste aus 20 Jahren, S. 46–53. Der Syndikalist, Berlin 1925, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Muehsam_Alarm_047.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)