Eduard Mörike: Das Stuttgarter Hutzelmännlein. Aus: Gesammelte Schriften. 2. Band: Erzählungen | |
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Wie er nun langsam durch die leeren Gassen nach seinem Viertel lenkte, vernahm er oben in dem Giebel eines kleinen Hauses den Gesang von zwo Dirnen, deren Eine, eines Kürschners Tochter, Kunigund, er wohl kannte, ein braves und sehr schönes Mädchen, mit welchem er im Pflug124 manchen Schleifer herumgetanzt hatte. Wär’ er nicht gleich im Anfang so tief in die Wittwe verschossen gewesen, die hätte ihm vor allen Ulmer Bürgerskindern wohl gefallen, und er ihr auch.
Die Dirnen plauderten, wie es ihm vorkam, finsterlings im Bett und sangen das Lied von dem traurigen Knaben, dem sein Schatz verstarb, das hatte zum Titel: Lieb in den Tod, und eine so herrliche Weise als sonst vielleicht kein anderes. Da sie es noch einmal von vorn anfingen, stand er still und horchte hinter einer Beuge Faßholz stille zu.
Ufam125 Kirchhof, am Chor,
Blüeht a Blo-Holder-Strauß126,
Do fleugt a weiß Täuble,
Vor’s127 taga thuet, aus.
Es streicht wohl a Gässale
Nieder und zwua,
Es fliegt mer in’s Fenster,
Es kommt uf mi zua.
Eduard Mörike: Das Stuttgarter Hutzelmännlein. Aus: Gesammelte Schriften. 2. Band: Erzählungen. Stuttgart: G. J. Göschen. 1878, Seite 207. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Moerike_Schriften_2_(1878)_207.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)