Eduard Mörike: Das Stuttgarter Hutzelmännlein. Aus: Gesammelte Schriften. 2. Band: Erzählungen | |
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Der Narr:
Hat Mancher keins, er schnitzet eins.
Ich, Gott sei Dank, bin wohl versehn.
– Diese Schuh’, mußt du verstehn,
Der vielberühmt Doctor Veylland
Nächst an der Stadt Jerusalem fand,
Unter’m Schutt in einer eisen Truh,
Ein gar alt Pergament dazu
Mit Juden-G’schrift. Selbes bekennt:
Als Mose nun hätt’ Israels Heer
Geführet durch das rothe Meer,
Und König Pharao, Reiter und Wagen,
Ersäufet in der Tiefe lagen,
Frohlockt das Volk auf diesen Strauß,
Zog weinend Schuh und Stiefel aus,
Am Stecken sie zu tragen heim,
In’s Land, wo Milch und Honigseim,
In ihren Häusern sie aufzuhenken
Zu solches Wunders Angedenken.
Aus sechs hundert tausend ohngefahr
Erlas man diese dreißig Paar
Und brachte sie an sichern Ort,
Als einen künftigen Segenshort;
Daß wer das Leder küssen mag
Sei ledig seiner Lebetag’
Von Allerwelts-Art Wassersnoth,
Auch Wassersucht und sottem Tod.
Der Schäfer:
Hast du das G’schrift auch bei der Hand?
Der Narr:
Das, meint’ ich, gäb’ dir dein Verstand.
Es liegt im Kräben unterst drin;
Eduard Mörike: Das Stuttgarter Hutzelmännlein. Aus: Gesammelte Schriften. 2. Band: Erzählungen. Stuttgart: G. J. Göschen. 1878, Seite 197. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Moerike_Schriften_2_(1878)_197.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)