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Seite:Moerike Schriften 2 (1878) 070.jpg

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lautem Heulen aus der Stube: soeben hab’ ihr Aennchen den letzten Zug gethan! – Sie rannte fort, wahrscheinlich ihren Mann zu suchen. Ich wußte gar nicht wie mir war. Es wimmelte just so dicke Flocken vom Himmel; ein Kind sprang lustig über die Gasse und rief wie im Triumph: ’s schneit Müllersknecht! schneit Müllersknecht! schneit Müllersknecht! Es kam mir vor, die Welt sei närrisch geworden und müsse Alles auf den Köpfen gehn. Je länger ich aber der Sache nachdachte, je weniger konnte ich glauben, daß Aennchen gestorben sein könne. Es trieb mich, sie zu sehn, ich faßte mir ein Herz und stand in wenig Augenblicken am ärmlichen Bette der Todten, ganz unten, weil ich mich nicht näher traute. Keine Seele war in der Nähe. Ich weinte still und ließ kein Aug’ von ihr und nagte hastig hastig an meinem Schulbüchlein.

„Schmeckt’s, Kleiner?“ sagte plötzlich eine widrige Stimme hinter mir; ich fuhr zusammen wie vor’m Tod, und da ich mich umsehe, steht eine Frau vor mir in einem rothen Rock, ein schwarzes Häubchen auf dem Kopf und an den Füßen rothe Schuhe. Sie war nicht sehr alt, aber leichenblaß, nur daß von Zeit zu Zeit eine fliegende Röthe ihr ganzes Gesicht überzog. „Was sieht man mich denn so verwundert an? Ich bin die Frau von Scharlach! oder, wie der

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Mörike: Gesammelte Schriften. 2. Band: Erzählungen. G. J. Göschen, Stuttgart 1878, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Moerike_Schriften_2_(1878)_070.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)