Tatsache vor, daß das Offizierskorps doch einer anderen ständischen Schicht angehört als wir und daß es dem Offizier beim besten Willen nicht möglich ist, sich in unsere Lage, die wir hinter der Maschine oder hinter dem Pfluge stehen, so vollständig hineinzuversetzen, wie wir selbst das tun. Das kam in einer Anzahl teilweise naiver Aeußerungen immer wieder zum Ausdruck und ich hatte das Gefühl, daß vielleicht durch eine falsch betriebene Art der Aufklärung die Autorität des Offiziers auch auf dem militärischen Gebiete, wo sie ganz unerschüttert steht, leiden könnte, weil die Leute die Autorität auf jenen Gebieten, wo sie beanspruchen, zu Hause zu sein, nicht unbedingt anerkennen. — Nun ein weiterer, nicht jetzt, aber früher bei Auseinandersetzungen mit dem Sozialismus oft gemachter Fehler. Man ist schon lange mit gutem Grunde davon abgegangen, was man früher auf Seite der parteipolitischen Gegner der Sozialdemokratie getan hat, bezüglich der Gewerkschaftsbeamten und der Parteibeamten den Arbeitern vorzuhalten: „Das sind eigentlich die Leute, die von den Arbeitergroschen im wörtlichen Sinne leben, viel mehr als die Unternehmer.“ Denn darauf antwortet selbstverständlich jeder Arbeiter: „Gewiß leben die Leute von meinen Groschen. Ich bezahle sie. Aber eben deshalb sind sie mir zuverlässig, sie sind von mir abhängig, ich weiß, daß sie meine Interessen vertreten müssen. Da lasse ich mir nichts dreinreden. Das ist mir die paar Groschen wert.“ Man ist jetzt mit Recht davon abgegangen, jene Intellektuellen-Schicht, die nun einmal überall die Parolen, die Schlagworte und — sagen Sie getrost: die Phrasen prägt, mit denen in allen Parteien ohne Ausnahme gearbeitet wird, und so auch innerhalb der Parteien der Linken und der sozialdemokratischen Partei, in jener Art diskreditieren zu wollen. Insbesondere aber ist es meiner Meinung nach zu begrüßen, daß man in Deutschland sich mit den Gewerkschaften gut gestellt hat. Man mag zu den Gewerkschaften sonst stehen, wie man will. Sie machen auch ihre Torheiten. Dennoch war diese Haltung gegenüber den Gewerkschaften gerade vom militärischen Standpunkt klug. Denn sie repräsentieren immerhin etwas, was auch den militärischen Körperschaften eigen ist. Man mag über den Streik denken, wie man will. Er ist meist ein Kampf um Interessen, um Löhne. Sehr oft aber doch nicht nur um Löhne, sondern auch um ideelle Dinge: um Ehre, so wie sie die Arbeiter nun einmal verstehen — und was darunter zu verstehen
Max Weber: Der Sozialismus, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Max_Weber_-_Der_Sozialismus_Seite_03.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)