49. Aber gleich darauf setzte er hinzu: „Legt keine Hand an mich; so viel an mir liegt, soll dieser Tempel durch keine Gewaltthat entheiligt werden. Noch einmal erhebe ich meine Blicke zu dem Gott, und folge euch dann freiwillig.“ Schon hoffte ich, ihn gewonnen zu haben. Er hielt die Hand an den Mund, und ich dachte nichts Anderes, als daß er bete.
Antipater. Was war es denn sonst?
Archias. Nachher brachten wir von einer Sclavin, die wir folterten, das Geständniß heraus, er habe seit lange schon Gift bei sich getragen, um sich durch Trennung seines Geistes von dem Körper in Freiheit zu setzen. Kaum waren wir über die Schwelle des Tempels getreten, als er mit einem Blicke auf mich sagte: „Nimm Diesen hier, und bring’ ihn dem Antipater; den Demosthenes wirst du ihm nicht bringen können, ich schwör’ es bei den“ … ich glaube, er wollte hinzusetzen: „bei den Helden von Marathon!“ aber die Rede versagte ihm, und mit dem Worte Lebewohl! ward sein Geist entrückt. Dieß, mein König, ist der Erfolg, den ich dir von der Belagerung und Eroberung des Demosthenes zu berichten habe.
Antipater. Auch Dieß, mein Archias, gehört zum ganzen Demosthenes. Wahrlich ein unüberwindlicher, ein seliger Geist! welch heldenmüthiger Entschluß, welche Vorsicht, würdig des freien Bürgers, das Unterpfand seiner Freiheit stets bei sich zu tragen! Er ist nun hingegangen, um unter den Heroen auf den Inseln der Seligen ein neues Leben zu beginnen; oder er hat die Wege betreten, auf welchen die Geister nach dem Glauben Vieler zum Himmel wandeln, und dient nun als Genius dem freiheitschirmenden Jupiter. Seine Ueberreste will ich nach Attica senden: sie sind diesem Lande ein theureres Kleinod, als selbst die Leiber Derer, die bei Marathon fielen.
Lukian von Samosata: Lucian’s Werke. J. B. Metzler, Stuttgart 1827–1832, Seite 1784. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lucians_Werke_1784.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)