Lycinus. Du bist sehr artig, Thersagoras, wenn du glaubst, ich hätte in so vielen Jahren nur eine einzige geschickte Umwendung gefunden, und nicht vielmehr mit allen möglichen solchen Drehungen und Wandlungen gewechselt, und am Ende doch befürchten müssen, daß es mir gehe, wie dem Proteus.
Thersagoras. In wiefern?
Lycinus. Auch wieder zu werden, was ich vorher war. Denn Proteus, der sich seiner menschlichen Gestalt entziehen wollte, hatte alle möglichen Formen von Thieren, Pflanzen und Elementen angenommen, um am Ende, nachdem er alle Gestalten erschöpft hatte, aus Mangel an einer fremden, doch wieder Proteus zu werden.
26. Thersagoras. Wenigstens wendest und drehest du dich mannichfaltiger noch, als Proteus, um der Vorlesung meines Gedichtes auszuweichen.
Lycinus. Das nicht, mein Lieber. Ich bin recht gerne bereit, aller Gedanken an mein Vorhaben mich zu entschlagen und dir zuzuhören. Vielleicht wirst du, wenn du der Sorge für deine eigene Geistesfrucht entledigt bist, mit theilnehmender Sorge mir auch in meinen Wehen beistehen.
Wir setzten uns also, da er dessen zufrieden war, auf die nächste Steinbank, und ich ließ mir vorlesen. Sein Gedicht war in der That geistreich. Aber noch war er nicht zu Ende, als er wie ein Begeisterter aufsprang, seine Handschrift zusammenrollte, und sagte: „Du sollst für dein Zuhören belohnt werden, Freund, so gut als der Athenische Bürger, der einer Gerichtssitzung oder Volksversammlung anwohnte. Und du wirst mir Dank wissen für diesen Sold.“
Lukian von Samosata: Lucian’s Werke. J. B. Metzler, Stuttgart 1827–1832, Seite 1768. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lucians_Werke_1768.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)