Taube für ein hochheiliges Thier, und sie halten es für Sünde, eine Taube auch nur anzurühren. Wer es zufällig gethan, ist selbigen Tag unrein. Aus dieser Ursache leben die Tauben dort ganz friedlich unter den Menschen, gehen in ihre Wohnungen und suchen ihr Futter auf der Straße.
55. Auch habe ich zu sagen, was Diejenigen vornehmen, welche die festlichen Versammlungen zu besuchen kommen. Wenn ein Mann zum erstenmal in die heilige Stadt kommt, so läßt er sich die Haupthaare und die Augbraunen abscheren. Alsdann opfert er ein Schaf, und hält von dem übrigen Fleische eine Mahlzeit. Das Vließ aber breitet er auf die Erde aus, knieet darauf, und legt die Füße und den Kopf des Opferthieres auf sein Haupt. Solchergestalt verrichtet er ein Gebet, und bittet, sein gegenwärtiges Opfer annehmen zu wollen; zugleich verspricht er für’s Künftige ein reichlicheres. Wenn er dieß gethan, bekränzt er sich und alle Uebrigen, so mit ihm desselben Weges gereist sind. Wenn er aus seiner Heimath aufgebrochen und auf der Wallfahrt ist, darf er sich zum Baden und zum Trinken blos des kalten Wassers bedienen, und nicht anders, als auf der bloßen Erde schlafen. Denn es wäre ihm Sünde, ein Bette zu besteigen, bevor er die Reise vollendet und seine Heimath wieder erreicht hat.
56. In der heiligen Stadt empfängt ein Gastwirth den unbekannten Fremdling. Denn für jede auswärtige Stadt ist hier ein besonderer Gastwirth bestimmt, der nach alter Sitte die aus derselben Ankommenden bei sich aufnimmt. Diese Wirthe heißen bei den Assyriern Lehrer, weil sie den Fremden in allen Stücken Anweisung ertheilen.
Lukian von Samosata: Lucian’s Werke. J. B. Metzler, Stuttgart 1827–1832, Seite 1750. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lucians_Werke_1750.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)