er einige Redlichkeit und Offenheit in seinem Charakter besitzt, seinen Zorn sogleich ausbrechen läßt, und seine ganze Galle gegen ihn ausschüttet, am Ende aber, wenn er des Erstern Rechtfertigung vernommen, zur Einsicht kommt, daß er sich ohne allen Grund gegen seinen Freund hat erbittern lassen!
24. Ist er aber ein Mann von unedler und kleinlicher Denkungsart, so empfängt er den Freund mit freundlichem Lächeln auf den Lippen, während er im Stillen die Zähne knirscht vor Haß, und, wie der Dichter sagt, im Herzen über Rache brütet. Wahrlich ich kenne nichts Schlechteres, nichts Niederträchtigeres, als mit verbissenen Lippen Galle zu kochen und den verschlossenen Haß zu nähren, Anderes im Herzen zu bergen, Anderes zu reden, und unter heiterer und lustiger Maske eine höchst leidenschaftliche und unheilvolle Tragödie zu spielen! Dieß geschieht dann zumal, wann Derjenige, welcher einen Andern verläumdet, für eine alten Freund von Diesem gilt. In diesem Falle will man gar kein Wort zur Rechtfertigung des Angeschuldigten weder von diesem selbst, noch von einem Anderen anhören, indem man im Voraus annimmt, eine Anklage, wenn sie sogar von einem vieljährigen Freunde herrühre[WS 1], könne gar nicht anders als glaubwürdig seyn, ohne zu bedenken, daß auch unter den Vertrautesten vielfältige Veranlassungen des Hasses eintreten können, wovon Andere nichts ahnen. Nicht selten beeilt man sich auch, dem Andern zur Last zu legen, wessen man selbst schuldig ist, um dem Verdachte gegen sich selbst zuvorzukommen. Ueberhaupt wird sich wohl Niemand
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: herrühe
Lukian von Samosata: Lucian’s Werke. J. B. Metzler, Stuttgart 1827–1832, Seite 1455. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lucians_Werke_1455.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)