12. Der Verläumdung ist gewöhnlich Derjenige am meisten ausgesetzt, welcher in hohen Ehren bei einem Großen steht, was ihn eben zu einem Gegenstande der Mißgunst für Alle macht, die er hinter sich läßt. Alle Diese drücken auf ihn, in welchem sie das einzige Hinderniß ihres Emporkommens vor sich sehen, ihre Geschoße ab: denn Jeder glaubt unfehlbar der Erste zu seyn, wenn er nur erst diesen Vormann aus dem Felde geschlagen, und ihn aus der Gunst des Großen verdrängt haben würde. Es geht hier zu, wie gewöhnlich bei den Wettläufen in den gymnischen Spielen. Der gute Läufer rennt, sobald das Schrankenseil gefallen ist, gerade vorwärts, mit seinen Gedanken nur auf das Ziel gerichtet; und weil er alle Hoffnung des Sieges nur auf seine Füße gesetzt hat, so thut er seinem Nebenmann Nichts zu Leide, und versucht keine Kunstgriffe, um die Mitkämpfer zu übervortheilen. Der schlechte, zum Siege nicht berufene Mitbewerber aber, der von seiner Schnelligkeit sich nichts versprechen darf, nimmt seine Zuflucht zu schlechten Mitteln, und ist nur darauf bedacht, wie er den Andern zurückhalten und in seinem Laufe hemmen möge, weil er denken muß, daß er, wenn dieses Mittel ihm fehl schlüge, den Preis unmöglich erhalten würde. Eben so pflegt es mit der Gunst der Mächtigen und Reichen zu gehen. Auch hier ist der Vorderste sogleich den Nachstellungen der Uebrigen ausgesetzt, und läßt er sich Einmal in Mitten seiner Widersacher über einer Unvorsichtigkeit betreffen, so ist er verloren; und Diese gelten nun zum Danke dafür, daß sie Jenem zu schaden gewußt, für treue Freunde, und sind von nun an die Begünstigten.
Lukian von Samosata: Lucian’s Werke. J. B. Metzler, Stuttgart 1827–1832, Seite 1449. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lucians_Werke_1449.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)