Hause und schrieben Briefe, besserten unsere Sachen aus und schwatzten, besuchten uns gegenseitig in den Quartieren und führten ein Leben wie im halben Frieden. Von Hause kamen jetzt Tag aus Tag ein ausser Briefen und Zeitungen die kleinen Feldpostpacketchen, die vier Lot schwer sein durften und allerlei angenehme Kleinigkeiten enthielten. Am 24. Januar quittire ich über vier Päckchen, darin ein Taschentuch, zwei Paar Strümpfe, vier Lichte, in einem Pfefferkuchen und Marzipan, in einem Frankfurter Würstchen. Ein Freund von mir, Namens Himstedt, Mediciner, der eben den Doktor gemacht hatte und Arzt im 10. Trainbataillon war, begegnete mir zu meiner grössten Freude eines Tages auf der Strasse; er lag auch in Le Mans und hatte eine hübsche Offizierswohnung; da waren wir nun häufig zusammen.
Wie wir uns so ausruhten, erfüllte uns alle die Sehnsucht nach dem Frieden. Von Paris her hörte man, dass die Capitulation nahe sei, aber wir wagten nichts zu glauben. Die Soldaten riefen sich mit den französischen Bürgern auf der Strasse zu: Paris caput! In einem Brief vom 29. Januar schrieb ich: ‚wir sind heute in sehr freudiger Spannung, da das Gerücht über die Capitulation von Paris seit einigen Stunden mit der grössten Bestimmtheit auftritt; gebe der Himmel dass es wahr ist.‘ An demselben Abend sassen wir im Quartier zusammen, als wir die Zeitungsjungen durch die Strassen stürzen und ein Extrablatt ausrufen hörten: La capitulation de Paris est arrivée! Wir
Friedrich Leo: Kriegserinnerungen an 1870–71. Göttingen: W. Fr. Kaestner, 1906, Seite 69. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Leo_Kriegserinnerungen_69.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)