Truppe nur in ihrem Führer belohnt werden. Aber dieses Princip wurde doch etwas zu ausschliesslich angewendet. Es ist wohl kein Officier, der überhaupt über die Grenze gekommen ist, ohne das eiserne Kreuz geblieben; und soweit sie vor dem Feinde gewesen sind, haben sie es gewiss alle verdient; denn die Bravour der Officiere war über jedes Lob erhaben. Das war auch die allgemeine Ansicht. Ich erinnere mich nur eines Falles, in dem es anders war. Ein Leutnant, der eine Zeit lang unsre Kompagnie führte und, ich weiss nicht mit welchem Recht oder Unrecht, in dem Rufe stand lieber hinter der Kompagnie zu sein, wenn vorne die Kugeln pfiffen, erschien eines Morgens mit dem Kreuz auf der Brust; da ging es durch die Reihen laut genug dass er es hören konnte und in einem Ton der ihn nicht erfreuen konnte: ‚er hädd et Krüz, er hädd et Krüz‘. Aber sonst war nie ein Widerspruch, auch nicht wenn einmal einer aus der Kompagnie dekorirt wurde. Nur geschah das eben äusserst selten, gewiss viel zu selten. Aus unsrer Kompagnie traf es nicht mehr als drei Leute, von uns sämmtlichen Göttinger Einjährigen einen einzigen, und der war dreimal verwundet worden. Das dritte mal stand ich nahe bei ihm, es war nur ein Streifschuss. Er hiess Grassmann und war ein sehr netter Student, Mathematiker, aus Stettin. Nun kann man aber sagen, dass die Einjährigen auch fast alle das Kreuz verdient haben und von der ganzen Armee wohl neun Zehntel; und man muss sagen, dass die Officiere in einem zu starken Masse bevorzugt worden
Friedrich Leo: Kriegserinnerungen an 1870–71. Göttingen: W. Fr. Kaestner, 1906, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Leo_Kriegserinnerungen_50.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)