ihn, sähen ihn aber nicht als hinderlich an. Endlich kam die alte Dame mit ihrem Licht herunter und liess uns ein. Unsere unschädlichen Physiognomien beruhigten sie offenbar über ihre ärgsten Befürchtungen, sie führte uns oben in eine Stube, in der ein grosses Bett stand, und sagte: „voilà le lit du pauvre Mr. Liger qui est mort.“ In dem Moment waren wir ganz zufrieden mit der Katastrophe unsres Gastgebers, denn sonst hätte er selber darin gelegen. Wir aber waren zu Ende und hatten keinen andern Gedanken als das Bett vor uns. Von Abendessen war keine Rede mehr, wir warfen ab was wir trugen und legten uns einträchtig schlafen. Wir schliefen süss und sanft, aber mit einem Intermezzo. Beim ersten Morgengrauen wachten wir beide zu gleicher Zeit von einem Geräusch an der Tür auf. Die Tür stand offen, Herr Liger stand darin, anders als wir ihn uns gedacht hatten, ein Mann in den Dreissigen, im gewöhnlichen Hausrock mit Cylinder und Glacéhandschuhen (wir hatten öfter Franzosen in ihrem Hause so gekleidet gesehen), und sagte, indem er die behandschuhten Hände rieb und uns eine kleine Verbeugung machte: „pas chaud“ (jeder Franzose rieb sich für gewöhnlich die Hände und sagte pas chaud). Es war uns beiden gar nicht merkwürdig und wir schliefen gleich wieder ein. Aber als wir spät (denn es war Ruhetag) endgiltig erwachten, erinnerten wir uns beide zugleich mit einem Schauder, dass uns Mr. Liger qui est mort erschienen war. Wir fragten nachher unsre Wirtsdame, aber sie wollte von nichts wissen: „je
Friedrich Leo: Kriegserinnerungen an 1870–71. Göttingen: W. Fr. Kaestner, 1906, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Leo_Kriegserinnerungen_35.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)