Theologe, sehr klug und begabt, aber ganz naiv und kindlich. Ich denke oft mit Rührung daran wie lieb er mich hatte, wenn er mir auch wohl durch Eifersucht das Leben schwer machte; denn ich durfte eigentlich mit keinem Anderen befreundet sein. Auf dieser Fahrt und während des ganzen Feldzuges, wenn wir zusammen waren (leider kamen wir beim Regiment in verschiedene Compagnien) sorgte er für mich wie nur ein Bruder es kann. Nach dem Kriege ging er bald nach Kurland als Hauslehrer und blieb da Jahrelang, so dass wir uns gar nicht wiedersahen. Erst im Jahre 1887 trafen wir uns wieder beim Universitätsjubiläum in Göttingen; aber da war er schon krank und ist bald gestorben.
Uebrigens waren wir ja schon lange nicht mehr Einjährige unter uns. Das hatte schon mit der Einstellung in die Compagnien aufgehört. Aber erst seit der Kriegsfahrt lebten wir mit der ganzen Mannschaft wirklich auf gleichem Fusse; und im Feindesland hörte bald jeder äussere Unterschied auf, als es keine Extrakleidung mehr gab, die Uniformen alle gleichmässig verbraucht und schäbig wurden, niemand sich waschen konnte und überhaupt oben auf blieb nur wer sich selber helfen konnte. Die Leute waren zum kleineren Teil Bauernsöhne, zum grösseren Fabrikarbeiter, besonders aus Bochum in Westfalen; auch unter diesen habe ich sehr gute und tüchtige Leute kennen gelernt, besonders einer namens Eike, ein Bochumer Arbeiter, mit dem ich oft im Quartier zusammenlag, ist mir in guter Erinnerung geblieben. Es waren aber auch böse
Friedrich Leo: Kriegserinnerungen an 1870–71. Göttingen: W. Fr. Kaestner, 1906, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Leo_Kriegserinnerungen_22.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)