Hause in einem Fremdenzimmer mit zwei Betten empfing und vorlieb zu nehmen bat. Da wohnten wir nun volle vier Wochen lang, taten Garnisondienst wie in Göttingen, konnten gelegentlich ins Theater gehn (Sonntag und die Elmenreich spielten da, beide in ihrer Blüte, auch die Oper war sehr gut, an „Lucia von Lammermoor“ erinnere ich mich) oder ein Konzert hören (eine Aufführung des Messias in einer grossen Kirche); aber dabei mussten wir uns mehr und mehr an den Gedanken gewöhnen, dass sie in Frankreich ohne uns fertig werden würden. Eine grosse Freude hatte ich, da mein Vater mich eines Tages auf der Durchreise nach Berlin besuchte; der gute Hauptmann (vielmehr Premierleutnant) gab mir Urlaub, den zu erbitten ich selbst in die Höhle des Löwen ging, und wir konnten den ganzen Tag zusammen sein.
In den ersten Tagen des Dezember war es, und inzwischen rauher Winter geworden, da kam, als die Hoffnung schon fast erfroren war, eines Tages der Befehl, wir sollten uns zum Ausrücken fertig machen. Noch einige Tage dauerte es, in denen unser Kompagnieführer vor Aufregung über die bevorstehende Besichtigung halbtoll war (ich habe ihn zuletzt gesehen, als er einem Mann, weil er sich nicht rasiert hatte, drei Tage strengen Arrest gab), dann war es soweit. Es wurde nicht etwa das ganze Garnisonbataillon nachgeschickt, sondern wir Einjährigen und eine etwa ebenso grosse Anzahl Ersatzreservisten.
Wir wurden von zwei Offizieren geführt, einem
Friedrich Leo: Kriegserinnerungen an 1870–71. Göttingen: W. Fr. Kaestner, 1906, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Leo_Kriegserinnerungen_16.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)