jünger wären als vieles aus späterer Lebenszeit.
Im Sommer 1870 war ich Göttinger Student im vierten Semester und wollte erst neunzehn Jahre alt werden. Am 5. Juli klang der erste kriegerische Ton aus dem Pariser Parlament herüber, als der Herzog von Grammont erklärte, die französische Regierung werde nicht zulassen, dass ein Hohenzoller König von Spanien werde. Nebenbei gesagt, jener Prinz von Hohenzollern ist vor wenigen Wochen gestorben und hat wohl ein glücklicheres Leben gehabt, als es ihm auf oder unter dem spanischen Thron geblüht haben würde. In den nächsten Tagen stieg die Aufregung in Frankreich auf den höchsten Grad. Ich muss vor allem gestehn, dass ich bis zum 8., an dem es siedete, nichts gemerkt habe. Denn ich war zu einem Stiftungsfeste nach Marburg gefahren, und auf der Rückreise fiel mir in Kassel beim Mittagessen eine Zeitung in die Hand, auf deren erster Seite in fettem Druck mitgeteilt war, dass die Franzosen toll geworden seien und der Krieg unmittelbar bevorstehe. In demselben Moment stand es mir, ohne Ueberlegung und als etwas selbstverständliches, fest, dass ich mitgehen würde. Es war ein Wendepunkt in meinem Leben; vielleicht erzähle ich ein andermal, warum.
Die folgenden Tage verbrachte man in Göttingen auf dem Museum, dem akademischen Lesezimmer, das seitdem in der Union aufgegangen ist. Es wurde wieder ruhiger, der Prinz trat von seiner Candidatur zurück. Zum 10. hatte mir mein Vater
Friedrich Leo: Kriegserinnerungen an 1870–71. Göttingen: W. Fr. Kaestner, 1906, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Leo_Kriegserinnerungen_04.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)