Auch mit der behaglichen Anschaulichkeit des Besitzes, der Einrichtung von Haus und Hof, der Zahl und Art der Hausthiere, der fest- und werktäglichen Gewandung, des Essens und Trinkens weiß Gotthelf überall seine einfachen Schöpfungen sattsam zu durchtränken, ohne in das einseitige Schildern zu verfallen.
Von den innern und edlern Kennzeichen wollen wir nur an die Höhepunkte in seinen Geschichten erinnern, welche immer wiederkehren und immer so neu und schön sind: nämlich an jene schweren oder frohen Gänge, welche seine Männer und Frauen thun in das Land hinaus, wenn sie bei entfernten Blutsfreunden oder bei den ihnen durch ihre guten Eigenschaften erworbenen Freunden und Getreuen Rath, Hülfe in der Noth oder Theilnahme an ihrem Wohle suchen. Man betrachte nur eine dieser herrlich gezeichneten Wanderungen, und man wird durch ihren ausführlichen Verlauf und die daraus hervorstrahlende durchaus gesunde und begründete Rührung an die besten Zeiten der Poesie erinnert.
Überhaupt ist es der seltene Vorzug unsers Mannes, daß er seinen Stoff immer erschöpft und entweder mit einer zarten und innigen Befriedigung oder mit einer starken Genugthuung zu krönen versteht, mit einer Befriedigung von solcher ursprünglichen beseligenden Tiefe, daß sie mit der Erkennungsscene zwischen Odysseus und Penelope aus einem und demselben Quell zu perlen scheint.
Welch rüstiges und liebliches Gestaltungsvermögen dem Verstorbenen zu Gebote stand, zeigt er fast mehr noch als in seinen größern Sachen in kleinern Erzählungen und Bildern aus der Schweiz. Wie durchaus werth, an innerm
Gottfried Keller: [Über] Jeremias Gotthelf. Wilhelm Hertz, Berlin 1893, Seite 161. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keller_Gotthelf_161.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)