Zuthat zu halten, welche weniger in die Kirche als vor die heidnische Orchestra führe. Aber der gleiche Gott, der den Menschen die Poesie gab, gab ihnen ohne Zweifel auch den künstlerischen Trieb und das Bedürfniß der Vollendung, und wenn er schon in der Blume, die er zunächst selbst machte, Symmetrie und Wohlgeruch liebt, warum sollte er sie nicht auch im Menschenwerke lieben? Da müssen wir jene katholischen Dichter loben, welche ihren geistlichen Dichtwerken alle erdenkliche irdische Liebenswürdigkeit zu verleihen suchten ad majorem Dei gloriam.
Es wäre hier noch auszuführen, wie diese übelangebrachte Ascese doch nur zum Theil der Grund von Gotthelf’s äußerer Formlosigkeit gewesen, wie dieser Grund sich vervollständigte in einer nicht durchgebildeten, kurzathmigen Weltanschauung, insofern diese unser heutiges Thun und Lassen betrifft, wie aus diesem mangelhaften vernagelten Bewußtsein von selbst ein mangelhaftes Formgefühl hervorgehen muß, da wir heutzutage zu tief mitleidend darin stecken, als daß ein schiefes und widersprechendes ethisch-politisches Princip nicht auf alle geistige Thätigkeit einwirken sollte. Es wäre ferner auszuführen, inwiefern manche der Übelstände, welche Gotthelf der Zeit zuschrieb, allerdings in dieser vorhanden sind, wie aber gerade die Ungeheuerlichkeiten und Auswüchse, welche er in allen seinen Schriften als das Unglück des Bernervolks und als Liberalismus zeichnet, nicht sowohl die Kennzeichen und Attribute des Liberalismus als eben die Art und Weise sind, wie das kräftige derbe, aber etwas ungeschickte Bernervolk in seinem Parteileben den Liberalismus handhabte, verfocht und bekämpfte; wie also in dem Umstande, daß Gotthelf dieß nicht
Gottfried Keller: [Über] Jeremias Gotthelf. Wilhelm Hertz, Berlin 1893, Seite 157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keller_Gotthelf_157.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)