Zum Inhalt springen

Seite:Keller Gotthelf 149.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Volksbüchlein mit Holzschnitten und in Traktätchenform, also eigentlich für das Volk berechnet. Es enthält die Geschichte zweier Leutchen, welche einander blutjung und blutarm geheirathet, durch unermüdliche Thätigkeit und Sparsamkeit aber bis zu ihrem Alter ein artiges Vermögen zusammenscharren. Sie erreichen ein hohes Alter in Weisheit und Wohlstand; der Mann stirbt aber vor der Frau und sie lebt in seinem frommen Andenken den Rest ihrer Tage hin. Bis jetzt ist sie als ein Muster eines weisen und christlichen Lebenslaufs dargestellt worden. Nun bekommt sie auf einmal am Rande des Grabes schwere Sorgen, wem das zusammengescharrte Vermögen zufallen solle; ihre Erben konveniren ihr nicht, daher heirathet sie noch vor Torschluß ein blutjunges Knechtlein, welcher sie auf dem Holzschlitten zur Trauung zieht. Nachdem sie also fünfzig Jahre mit dem Manne ihrer Jugend in Eintracht gelebt, benutzt sie das christliche Institut der Ehe, wie man eine Mausfalle benutzt, um ihrer Sorgen wegen ihres zu hinterlassenden Guts ledig zu werden. Schon daß sie diese Sorgen hat als alte weise Christin, die sich vom Irdischen ab- und dem Himmlischen zuwendet, ist ein sonderbares Ding.

Es steht einstweilen nicht mehr in der Macht der Kirche, ihre Gegner körperlich zu verbrennen; daß man hingegen mit Vergnügen ein moralisches Scheiterhäufchen unter den Füßen Andersdenkender anzündet, davon ist Jeremias Gotthelf ein neues Beispiel, und dieß moralische Verbrennen ist kaum menschlicher. Doch soll einmal das Geschäft betrieben werden, so wäre zu rathen, vorher sich nach einem festern und gediegenern Princip und einer eigenen konsequenten Moral umzusehen; mit Possen und thörichten

Empfohlene Zitierweise:
Gottfried Keller: [Über] Jeremias Gotthelf. Wilhelm Hertz, Berlin 1893, Seite 149. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keller_Gotthelf_149.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)