von der Zeller’schen Aufklärung angefressenen Kerl läßt er sagen: „Gott ist ein Kalb!“ Es hat allerdings schon Jahrhunderte vor uns eine Art konfusen Volksatheismus gegeben, welchem einzelne wüste Subjekte verfielen, die von der allgemeinen Idee Gottes nicht loskommen konnten und daher Blasphemien gegen sie ausstießen, weil sie ihnen in ihrem Treiben unbequem war. Solche Erscheinungen haben mit der Geschichte der Religion und Philosophie nichts zu thun und sind eben krankhafte Auswüchse, die jederzeit vorkommen. Das Volk hingegen, dieselben im Gedächtniß, stellt sich dann die freie Denkart, welche vom Zeitgeist herrührt, gern unter jener Form vor, wozu das unsinnige und boshafte Wort „Gottesleugner“, das es im Munde der Pfaffen hört, das seinige beiträgt. Lügen heißt gegen seine Überzeugung von der Wahrheit einer Sache aussagen, Gottleugnen also, Gott innerlich voraussetzen und äußerlich leugnen: daher der widerliche Klang des schlau erfundenen Worts. Wenn nun aber Gotthelf die Sache zusammenfaßt in der holdblühenden Blasphemie: „Gott ist ein Kalb!“, dieselbe für eine Folge der Aufklärung ausgibt, so mag dieß in harten Berner Schädeln von Wirkung sein, seiner christlichen Phantasie gereicht es aber zu geringer Ehre.
Wenn man das Buch zuschlägt, so hat man den Eindruck, als sähe man einen Kapuziner, nach gehaltener Predigt den Schweiß abwischend, sich hinter die kühle Flasche setzen mit den Worten: „Denen habe ich es wieder einmal gesagt! Eine Wurst her, Frau Wirthin!“
Ein Beweis von der frivolen und materialistischen Ader, die als Religiosität mehr und mehr in Jeremias Gotthelf’s Sachen zu Tage tritt, ist auch ein in Leipzig erschienenes
Gottfried Keller: [Über] Jeremias Gotthelf. Wilhelm Hertz, Berlin 1893, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keller_Gotthelf_148.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)