wenig Respekt gemacht und in’s Leben geführt. Man näherte sich darin der „reinen Demokratie“ durch das Abberufungsgesetz, wonach das Volk jederzeit die gewählte Regierung zwischen den Wahlterminen abberufen kann. Dieß geschah nicht als Nachahmung der kleinen demokratischen Kantone, sondern als Ausfluß kosmopolitischer, vorzüglich deutscher Freiheitstheorien, welche eher auf einem sklavenhaften Pessimismus als auf einem männlichen Idealismus beruhen.
Die Berner sind eine schwer in Fluß gerathende, grobkörnige, aber kräftige Masse, welche, einmal in Wallung nicht so leicht wieder glatt wird und sich in ungeheuerlichem Excediren gefällt, am liebsten mit den Fäusten auf den Köpfen der Opponenten politisirt. Es gab allerlei Unfug und Unbehaglichkeit; alte, konservativ gewordene Volksführer thaten sich wieder hervor, die Zeitumstände benutzend, und es entstand jene widerliche Verbindung von ehemaligen liberalen Magnaten vom Lande mit den eigentlichen Aristokraten, die überall, kein reelleres Band zwischen sich vorfindend, Religion und Sittlichkeit zu ihrem Schibboleth macht. Sie erzeugten einen Umschwung in der Volksstimmung; das Volk wählte 1850 wieder konservativ, zeigte sich aber bald darauf den Radikalen wieder günstiger, da die konservative Regierung nichts Absonderliches vorzubringen wußte. Die Radikalen wollten nun jenes Abberufungsgesetz benutzen, um das eingedrungene Regiment vollends zu beseitigen; es entstand eine gewaltige Agitation, wo auf beiden Seiten die ausgebildetste Demagogie betrieben wurde. Das Volk berief nicht ab, nicht sowohl aus reaktionärem Sinne, als um zu zeigen, daß es Manns genug sei, ein einmal
Gottfried Keller: [Über] Jeremias Gotthelf. Wilhelm Hertz, Berlin 1893, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keller_Gotthelf_142.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)