formlose, stümperhafte Produkte. Denn ohne ein Maß von Weisheit und Gerechtigkeit gibt es keine Kunst; und wenn Jeremias Gotthelf sagt, daß sein Buch kein Kunstwerk sein soll, so ist dieses die Resignation des Fuchses, welchem die Trauben zu sauer sind. Daß sie ihm aber zu sauer sind, ist seiner verletzten Pflicht hart vorzuwerfen; wäre er nicht von dem Schemel der Weisheit und Gerechtigkeit heruntergestiegen, so würden seine Beine nicht zu kurz sein und er könnte heute noch an den schönen Weinstock hinaufreichen.
Als das schweizerische Volk durch die neue Bundesverfassung im Jahre 1848 einen vorläufigen Abschluß und Sieg errungen hatte nach langen politischen Kämpfen um die schmale Linie, auf welcher Centralisation und Föderalismus einander am füglichsten die Hand reichen, ruhte es auf diesen Lorbeern nicht träge und selbstzufrieden aus, sondern es begann in den einzelnen Kantonen sofort ein munteres Revidiren der Verfassungen. Seit zwanzig Jahren hatte dieß Volk um Ideen gestritten und seine Verfassungsproduktion vorzüglich den Charakter dieses Streits getragen; es hatte durch das Hinauswerfen der Jesuiten (was eine ehrenwerthe und gesunde That war, welche es wiederholen wird, sobald die zurückgebliebenen Wurzeln wieder geile Schosse treiben, trotz aller zur Mode gewordenen lächerlichen Blasirtheit in Beziehung auf den Jesuitenhaß) und durch die zeitgemäße Beschränkung der Kantonalsouveränität sein Schwert im Ideenkampfe bewährt und konnte es für einmal einstecken. Hingegen machten sich nun in dem begonnenen Revidiren die materiellen Fragen mit aller Macht geltend; das gemüthliche Schlagwort hierfür hieß: von dem ewigen Politisiren über Formen, wie man die Ideen nannte, habe man
Gottfried Keller: [Über] Jeremias Gotthelf. Wilhelm Hertz, Berlin 1893, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keller_Gotthelf_139.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)