und Mendelssohn’sche Lieder singenden Fräuleins von Bern oder Aarau und ihren violinekratzenden Anbetern.
Jeremias Gotthelf aber führt den Krieg mit alter Energie auf dem alten Boden nicht des ästhetischen, sondern des moralischen Schlechtmachens fort, wo er als Parteimann des Kantons Bern vollkommen berechtigt ist; ob er es aber auch als Schriftsteller, Dichter und Christ ist, wollen wir ein wenig näher ansehen.
Er sagt in der Vorrede zu seinem „Zeitgeist und Berner Geist“, Freunde hätten ihm gerathen, die Politik endlich beiseite zu lassen; er aber setze, diesem Rathe schnurstracks entgegen, hiermit ein neues Buch in die Welt, welches von Politik strotze. Darin hat er als Bürger wie als Schriftsteller u. s. w. durchaus Recht; denn heute ist alles Politik und hängt mit ihr zusammen von dem Leder an unserer Schuhsohle bis zum obersten Ziegel am Dache, und der Rauch, der aus dem Schornsteine steigt, ist Politik und hängt in verfänglichen Wolken über Hütten und Palästen, treibt hin und her über Städten und Dörfern.
Jeremias Gotthelf erklärt ferner, daß sein Büchlein kein Kunstwerk sein soll. Ein solches ist es allerdings nicht, und wir befürchten, er sei nunmehr unter die Literaten gegangen, welche dem Teufel ein Ohr wegschreiben; und darin hat er Unrecht. Denn als Christ hat er die Pflicht, sein Pfund nicht zu vergraben und ein dem Herrn gefälliges Kunstwerk zu schaffen mit Fleiß, Reinlichkeit und Selbstbeherrschung, da er das Zeug dazu empfangen hat; als Bürger und Parteimann hat er diese Pflicht ebenfalls, weil ein wohlproportionirtes und schöngebautes Werk seinen Zweck besser erreicht als das entgegengesetzte, und gerade beim Volke
Gottfried Keller: [Über] Jeremias Gotthelf. Wilhelm Hertz, Berlin 1893, Seite 136. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keller_Gotthelf_136.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)