Er ist bestrebt, das jämmerlich-komische Fuhrwerk eines liberalen Windbeutels, der vor ihnen herfährt, mit seinem feurigen Gespanne zu überholen und ein wenig auf die Seite zu drücken, schmettert es aber nicht nur zu Boden, sondern überfährt auch seine Geliebte, welche in der Dunkelheit ungesehen denselben Weg wandelte. Sie wird ohnmächtig auf seinen Wagen gelegt, schlägt ihre Augen ein wenig auf und schließt sie wieder ganz selig, als sie ihn erblickt; während er durch seinen Kummer um sie ebenfalls über seine Liebe gewisser wird. Die Lösung des Knotens wird ebenso originell herbeigeführt, indem der ritterliche Bursche eines Sonntags in der Kirche, mitten in der Predigt, eingeschlafen ist und in süßen Träumen laut von seinem Liebchen einen Kuß verlangt. Um das Mädchen nicht in Schande zu bringen, muß er sich sogleich erklären und heirathet es.
Die „Erzählungen und Bilder aus der Schweiz“ enthalten theils solche ähnliche Geschichten in kürzerer Novellenform, meistens das Werben eines rüstigen Bauernsohns um ein Weib oder umgekehrt, theils Anekdoten und Schwänke in der Art des „Rheinischen Hausfreundes“, auch einige Visionen à la Jean Paul. Die Anekdoten wie die Visionen erscheinen nicht so ungezwungen und eigenthümlich und hätten füglich unterdrückt werden mögen. Die Novellen aber sind alle vom gleichen guten Stoffe wie die größern Arbeiten Gotthelf’s. Vorzüglich fällt es auf, und jeder Leser wird es gestehen, wie, abgesehen von der überladenen Polemik und den Geschmacklosigkeiten in vielen Bildern, es doch so wahrhaft episch hergeht in dieser Welt. Viele Züge könnten ebensowohl dreitausend Jahre alt sein wie nur eines, und in
Gottfried Keller: [Über] Jeremias Gotthelf. Wilhelm Hertz, Berlin 1893, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keller_Gotthelf_130.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)