er solche Misère so trefflich zeichnet; denn es ist noch besser, wenn sie einseitig geschildert wird als gar nicht, da sie einmal vorhanden ist; und selbst unserer Partei kann es nur frommen, wenn manche ihrer Mitläufer der untern Schichten sich ein wenig bespiegeln können. Für Charakterisirung der politischen Tröpfe in den obern Regionen, der unklaren und eigensüchtigen Gemüther von feinerm Korne, leistet in neuerer Zeit Gutzkow Ausgezeichnetes in seiner merkwürdigen Durchdringungs- und Anempfindungskunst.
Die „Käserei in der Vehfreude“ schildert den bäuerlichen Associationsgeist, wie er eine gemeinschaftliche Sennhütte für ein ganzes Dorf errichtet. Früher wurde der gute Schweizerkäse nur auf den Alpen von einzelnen Kühern ausschließlich producirt, indem man der Meinung war, seine Feinheit und Würze sei die einzige Folge der Alpenkräuter. Seit aber die Chemie nachgewiesen hat, daß es wie bei mehreren andern Erzeugnissen, so auch beim Käse mehr auf die Behandlungsweise ankomme, haben in der Schweiz viele Dörfer der Niederungen sich diesem Produktionszweige zugewendet. Sie bestellen sich einen erfahrenen Senn; jeder Theilnehmer liefert vom Frühjahr bis zum Herbste alle entbehrliche Milch in die gemeinschaftliche Hütte, und die auf diese Weise den Sommer hindurch entstandene Menge von Käsen wird dann auf Einen Schlag an einen Händler verkauft und der bedeutende Erlös unter die Theilnehmer vertheilt, je nach der Milch, welche sie geliefert haben. Dieses Thema gab nun Jeremias Gotthelf die Veranlassung, alle kleinen Leidenschaften des Dorfes spielen zu lassen: die Ungeschicklichkeit und Naseweisheit bei der Konstituirung und Vielherrschaft, den Ehrgeiz, Neid, Eigennutz, Mißtrauen, das
Gottfried Keller: [Über] Jeremias Gotthelf. Wilhelm Hertz, Berlin 1893, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keller_Gotthelf_128.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)