unter die Nahrung mischen wollen; sie werden entweder sogleich ausgespieen, oder die gute Natur hilft sich durch Geschwüre und Ausschläge.
Ewig sich gleich bleibt nur das, was rein menschlich ist, und dieß zur Geltung zu bringen, ist bekanntlich die Aufgabe aller Poesie, also auch der Volkspoesie, und derjenige Volksdichter, der ein gemachtes Princip braucht, um arbeiten zu können, thut daher am besten, die Würde der Menschheit im Volke aufzusuchen und sie demselben in seinem eigenem Thun und Lassen nachzuweisen. Gelingt ihm dieß, so erreicht er zugleich einen weitern Zweck, und deckt eine Blöße im Getriebe der Kultur. Es ist nämlich die laute Klage der Retrograden und wirklich eine häufige Erscheinung, daß durch die sogenannte Aufklärung, d. h. durch die Verbesserung und Ausbreitung der Volksschule, ein unnatürlicher Ehrgeiz, allerlei windiges Wesen und Unzufriedenheit mit seinem Stande geweckt werden. Mancher Bauer, dessen Sohn einen guten Brief schreiben, eine Wiese ausmessen gelernt, oder in Erfahrung gebracht hat, daß die Gewächse sich auch geschlechtsweise fortpflanzen, oder der über 1812 und 1798 hinauf noch einige historische Jahreszahlen mehr kennt, der sagt: „Potz Blitz! Mein Bub muß ein Gerichtsschreiber oder gar ein Advokat, ein Ingenieur, ein Doktor, ein Lehrer werden“. Und statt eines tüchtigen, kundigen Bürgers, der mit Rath und That bei der Hand und eine Zierde seiner Gemeinde ist, erzieht er mit seinem sauer erworbenen Gelde dem Staate ein mißlungenes Subjekt, einen Winkeladvokaten und käuflichen Geschäftsmacher, einen versoffenen Geometer, welcher nichts zu thun hat, weil er über das Ausmessen der Wiese hinaus zu nichts Weiterm das Zeug im Kopfe hatte, einen
Gottfried Keller: [Über] Jeremias Gotthelf. Wilhelm Hertz, Berlin 1893, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keller_Gotthelf_096.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)