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Seite:Kalewala, das National-Epos der Finnen - 138.jpg

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Verrath für die Gäste haben,
Überflüss’ge Fleischesbissen,
Für sie manche schöne Kuchen!“
     „Lad den Fremden ein zu sitzen,

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Rede freundlich mit dem Gaste,

Sättige den Gast mit Worten,
Bis das Essen endlich fertig!“
     „Zieht er wieder aus dem Hause,
Hat er Lebewohl gesaget,
Dann geleite nicht den Fremden
Weiter als bis zu der Thüre,
Daß dein Gatte sich nicht ärgre,
Dein Geliebter böse werde!“
     „Hast du einmal Lust bekommen,

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Selber in das Dorf zu gehen,

Gehe fragend in dem Dorfe,
Sprechend weile bei den Fremden;
Während du dich dort befindest,
Führe Reden voller Klugheit,
Darfst das eigne Haus nicht tadeln,
Nicht die Schwiegermutter schmähen!“
     „Fragen in dem Dorf die Schnure
Oder andre Fraun des Dorfes:
„„Gabt die Schwiegermutter Butter,

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Wie zuvor zu Haus die Muttee?““

Darfst du nicht gerade sagen:
„„Nein, sie giebt mir keine Butter!““
Sage, daß sie stets gegeben,
Mit dem Löffel dir gereichet,
Wenn auch einmal nur im Sommer,
Seit dem Winter du bekommen!“
     „Höre ferner, was ich sage,
Was ich dir nun wiederhole!
Gehest du aus diesem Hause,

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Kommst du zu dem andern Hause,

Darfst die Mutter nicht vergessen,
Du die Theure nicht verschmerzen!
Leben gab dir ja die Mutter,
Säugte dir die schönen Brüste
Aus den eignen, schönen Brüsten
Mit dem Leibe voller Schönheit,
Manche Nacht verbracht sie schlaflos,
Manches Mahl hat sie vergessen,
Als sie dich, ihr Kind, gewieget,

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Dich, die Kleine, treu gewartet.“

     „Wer der Mutter könnt’ vergessen,
Wer die Theure je verschmerzte,
Gehe nimmer nach Manala,
Guten Muths in’s Reich Tuoni’s,
In Manala wird bezahlet,
Wird gar fürchterlich vergolten,
Wenn der Mutter man vergessen,
Man die Theure bald verschmerzet,
Tuoni’s Töchter kommen drohend,

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Mana’s Jungfraun schelten also:

„„Konntst die Mutter du vergessen,
Sie, die Theure, du verschmerzen,
Große Mühe hatt’ die Mutter
Und Beschwerde da getragen,
Als sie in der Badstub’ liegend
Auf dem Strohbund ausgestrecket
Dich hervor zum Dasein brachte,
Dich, die Elende, gebährend.““
     Eine Alte saß am Boden,

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Auf der Decke eine Greisin,

Die des Dorfes Schwellen alle,
Die der Leute Wege kannte,
Redet Worte solcher Weise,
Läßt auf diese Art sich hören:
„Sang der Hahn bei seiner Gattin,
Rief der Henne Sohn zur Schönen,
Sang die Kräh’ im Ostermonat,
Schaukelt’ sich im Frühlingsmonat;
Singen sollte ich wohl lieber,

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Jene ohne Sang verbleiben,

Jene sind im Haus des Goldes,
Stets im Schooße der Geliebten,
Ich bin ohne Gold und Stätte,
Alle Zeit auch ohne Lieben.“
     „Höre, Schwester, was ich spreche,
Gehest du in’s Haus des Mannes,
Folge nicht dem Sinn des Mannes,
Wie ich Ärmste bin gefolget
Seinem Sinn, der Lerche Zunge,

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_138.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)