War der Held in Schlaf versunken,
Ausgestreckt mit seinen Kleidern.
War ein Weib im Reich Tuoni’s,
Eine wackelkinn’ge Alte,
Spinnerin von Eisenfäden,
Gießerin von Kupferdrähten,
Spinnet wohl ein Hundert Netze,
Während einer Nacht des Sommers
Und auf einem Stein im Wasser.
War ein Greis im Reich Tuoni’s,
Drei der Finger hatt’ der Alte,
Spinnen konnt’ er Eisennetze,
Kupfernetze er bereiten,
Spinnt ein ganzes Hundert Netze,
Bringt ein Tausend selbst zu Stande
In derselben Nacht des Sommers,
Tuoni’s Sohn mit Hakenfingern,
Eisenspitz’gen Hakenfingern
Zieht der Netze ganzes Hundert
Durch den Fluß im Reich Tuoni’s,
In die Breite, in die Länge,
Zieht sie hin in schräger Richtung,
Damit Wäinö nicht entkomme,
Nicht der Wogenfreund entschlüpfe,
Nimmer in dem Lauf der Zeiten,
Aus den Häusern von Tuoni,
Aus Manala’s Wohngebäuden.
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Redet selber solche Worte:
„Scheint nicht Unheil schon zu kommen,
Noth auf mich hereinzubrechen
In den Stuben von Tuonela,
In Manala’s Wohngebäuden?“
Rasch verwandelt er das Aussehn
Gehet schwarzgefärbt zum Meere,
Geht als Riedgras zu dem Röhricht,
Kriechet als ein Wurm von Eisen,
Schlüpfet in Gestalt der Schlange
Durch den Fluß im Reich Tuoni’s,
Durch die hundert Netze Tuoni’s.
Tuoni’s Sohn mit Hakenfingern,
Eisenspitz’gen Hakenfingern,
Ging des Morgens in der Frühe
Findet hundert Lachsforellen,
Tausende von kleinen Fischen,
Findet nur nicht Wäinämöinen,
Nicht den alten Freund der Wogen.
Als der alte Wäinämöinen
Aus des Tuoni Reich gekommen,
Sprach er Worte dieser Weise,
Ließ auf diese Art sich hören:
„Nimmer magst du Gott, o guter,
Der von selbst zu Mana gehet,
In Tuoni’s Reich sich dränget!
Viele sind’s die hingekommen,
Wen’ge die hinweg gerathen
Aus den Häusern von Tuoni,
Aus Manala’s Wohngebäuden.“
Ferner sprach er diese Worte,
Redet selbst auf diese Weise
Zu der Jugend, die nun wächset,
„Handelt nie, o Menschenkinder,
Nie im Laufe dieser Zeiten
Unrecht an den Schuldentblößten,
Schadet nie den Unschuldvollen,
Daß man nicht den Lohn bezahle
In den Häusern von Tuoni:
Dorten ist der Schuld’gen Stelle,
Dort das Bett der Lasterhaften:
Unter Steinen voller Hitze,
Eine Decke wird aus Schlangen,
Wird von Nattern dort bereitet.“
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_087.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)