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Anfang des Leinwand Gewerbs im Land Appenzell.
[Ao. 1572] grausame Kälte erfolget, das viel Leut erfroren u. im Schnee erstickt auf den Straßen,
das die Wölf Menschen angreifen und Jämerlich zerrißen, d 28. November sahe
man im ganzen Land Feuer vom Himmel fallen, d 3. Tag regnete eß im xbris ohne
aufhören, das große überschwemmung u. schaden geben viele Gebäu u. bruggen weg-
gerißen, und im Merzen etlich Nächt eine schröckliche Röthe am Himmel geweßen, welches
anzeigte das der zorn Gottes der ein verzehrendes Feuer ist über die Sünden der
Welt entbrunen, das hunger Mangel u. grose armuth ansolchen wilden orten
da wenig oder gar kein obst wachste entstanden, und sich viel Leut im Land
Appenzell von dem Nutzen des Viehs nit erhalten könten, und viele weder Vieh
nach Güter hatten, und ihre Haußhaltung mit verkauf des garns nicht ernähren
könten, die Weber aber zu St. Gallen, so auch kein vieh u. Güter haten, u.
das garn kaufen mußtend u. Tücher machtend, und die eß weben ließend, dennach
eine gute nothdurft geld hatend einzukaufen, und etliche dabey Reich wurdend.
- Entschloßen sich Reiche und gemeine Landleut, sie weltend ihrer Weiber und Töchtern
garn selbst verweben, oder Weben laßen, eigne Tücher machen und verkaufen, liesend
derhalben ihre Söhne bey den Webern, so gen St. Gallen gewoben das handwerk
lehren, u. machend ihren Webstuben in ihren Häußeren, darnach Lernte eß einer
von dem andern, und giengen ihnen die Tücher glücklich von stat, und habend dem
Georg Schläpfer in der Trogner Rood, bald andere nachgefolget, und hat man gemeingl.
im ganzen Land angefangen Webstuben bauen, und mancher Landmann nach dem er
viel Gesind hate machte auß dem garn so sein Weib und Töchtern gesponnen haben
im Jahr 2, 3, 4 und mehr Tücher, da ihm ein Tuch 40 - 50 bis 100 Gulden u.
nach mehr gegolten. Ao. 1625 um St. Jacobi Tag hat einer ab Gaiß ein Leinwat
tuch verkauft welches zwölfthalb Pfund gewogen hat, ist ein 40r Wahl gangen &
hat ihme ein Ell 21 Bazen golten, das bringte in Summa ƒ. 187.10 bazen.
Welche Landleut aber vermöglich waren die kauften den Armen Spinneren
im Land, die nüt vermögen ein Tuch zu machen, das garn ab, sie besuchten auch
außerhalb Lands, und Enert dem See u. Rhein, wie auch zu Werdenberg und
anderstwo die garn Märkt, Kaufend das garn und gebend denen armen
Landleuten und nachpauren zuweben, dardurch dan der Reich den armen, u.
der arm den Reichen hilf erhalten, das dieses Land sehr bereichert worden ist.
- Darzu dan auch mächtig geholfen hat das die St Galler eine Fleisige
Leinwatschauw und gute prob haltend, also das die Leinwand so das st. galler
zeichen hat, den preis unter allen anderen zeichen in Teutsch- u. Wälsch Land hat.
- Es ist aber den Appenzeller, mit ihrem Leinwatt gewerb ergangen nach dem
Sprüch wort Glück hat nid, oder wie der Latiner sagt, ein hafner haßet den andern.
- dan eß haten die Weber von St. Gallen nit gern das die Appenzeller auch den
Leinwatt Gewerb zuhanden nahmend, dan wo sie an die Märkt, oder an den Leinwat
bank, oder an die Schauwen kommend, waren die Appenzeller alweg auch da mit ihrer
Leinwat vorhanden, u. vermeynend die Burger sie stuhnden ihnen vor der Sonnen da.
Johann Bartholome Rechsteiner: Beschreibung der Gemeinde Speicher. , 1810, Seite 259. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:KB_AR_Rechsteiner_Chronik_Ms401-262_Seite_259.jpg&oldid=- (Version vom 9.12.2024)