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Seite:KB AR Rechsteiner Chronik Ms401-074 Seite 73.jpg

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Erste Regierungs Verfaßung des Lands Appenzell.

[Ao. 1421 & 1429] Da die Appenzeller als ein Gefreytes, Souverainnes Volk und Land, Erkent und
Erklärt worden, so hörte die oberHerrschaft des Abts ganz auf, und seine Regierung
[AU 1] war aufgelößt. Deßgleichen wurden die Appenzeller auch von den hofamte und
Gericht St. Gallen Befreyt, welches auß 12 Richtern bestanden 6 Burgern,
und 6 auß dem Kloster, dahin die Gemeinden Herisau, Trogen, und Teufer Rood
[AU 2] hiemit auch Speicher gehörten. Und mußte also eine neue Regierung eingeführt werden.
          Gründung einer Democratischen freyen Volks Regierung.
1. Dieße nahm den anfang durch abhaltung der Landsgemeind, welche als
der Souverain des Lands sich versammelte, und alß ein Grundgesez an-
nahmen, das sich in allen theillen die freyen- und zahlreichern Stimm und hände

[AU 3] den außschlag geben, und also der mindere theil sich der mehrheit unterziehen
und unterwerfen solle und müse. Zufolg deßen mußten alle wichtige Lands
angelegenheiten der Landsgemeind vorgetragen, und darüber entschieden werden.
Aller Gewalt mußte von der Landsgemeind außgehen, und bestimt werden.
[AU 4] Und behielt also die Lands gemeind den höchsten Gewalt in allen Theilen vor.
2. Erwählte diese freye Volks Versammlung eine Eigne obrigkeit, mit der
Vorbehaltung des Rechts, dieselbe nach gutbefinden wieder abändern zu-
mögen, zusezen und zuentsezen, oder zubestäten aber nur auf 1 Jahr lang, damit
sie in schrancken bleiben, & den anvertrauten gewalt nicht mißbrauchen.
3. Die Kriegs Erklärungen, und Frieden Schliesen gehörte vor die Landsgemeind.
4. Die annehmung neuer Landleuten geschahe von der Lands Gemeind.
5. Hate ein jegl. freye Landmann das uneingeschrenkte Recht an einer Lands-
Gemeind vorzubringen u. zuverlangen was einer verneynte das solches
vor das gemeinsamme vatterland nutzlich und gut sein möchte, das mußte gemehret
werden. (Dieses Recht wurde aber in späteren zeit eingeschränkt u. verbotten.)
6. Neue Bundtnußen zuschließen, war ein Recht der Landsgemeind zur bestätigung.
7. Anlagen zu Kriegs- und andern Steuren, Ermehrte die Landsgemeind.
8. War die Landsgemeind Geszgeber und Geseznehmer, die zur Be-
stätigung vorgelegt und angenommen worden oder verworfen werden konten. *)
[AU 5] 9. Nach wieder erlangter mit Regierung des Rheinthals, bekam auch die
Landsgemeind das Recht alle 16 Jahr einen Landvogt in das Rheinthal zu sez.
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*) Die Constitution oder Landes verfaßung war zwar von anfang nicht in Schriften #
verfaßet, aber also geübt worden (weil fast nach niemand schreiben und Leßen könen)
So waren auch keine geschriebene gesez, sondern wurden nur die alten gesez theils bey-
behalten u. theils veränderet, und Erneuert, von alten gebräuchen u. gewohnheiten viel
hergenommen, u. nach erforderlichen umständen u. nothdurft eingerichtet, sie folgten den
einfachen,Jdeen ihres gesunden verstands, u. ihrem nattürlichen gefühl von freyheit, und
ahmten vieles der Regierungsform des Kantons Schweiz nach die ihre helfer u. rathgeber waren.


  1. Hofamt und gericht in St. Gallen
  2. im 15ten Jahrhundert haben die meisten völker sich neue Staatsverfaßungen geben.
  3. (In allem Landsgemeinds beschlüßen folg. als dem Souv. od. höchsten gwalt.
  4. Die unabhängigkeit ist ein durch das blut unßerer vorvätter erkauftes u. auf uns gebrachtes Erbgut, das wir unßern nachkomenden überliefern sollen.
  5. Die Landes verfaßung ist nach u. nach so eingeführt worden. # Ein alt Landsgemeind- u. Raths Protocol enthalt. solche u. erst ein Landbuch gemacht worden ca. 1500 […dt] man zuerst […chriebene] geseze.