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Seite:Idealisten 51 58.jpg

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„Ihr erlaßt es mir wohl, auf Einzelheiten einzugehen; es kann euch genügen, daß ich zufrieden war, als ich mir endlich den Schweiß von der Stirn wischen konnte, und daß von jedem Munde ein ‚Ah!‘ ungekünstelter Bewunderung erklang, als die einzelnen Paare nach und nach den Hügel wieder erstiegen; es war aber auch ganz reizend, halb feierlich, halb gemüthlich, und mit Blumen, bunten Lampions, Epheugirlanden u. s. w. war eine ganz ansehnliche Verschwendung getrieben worden. Das Tafeltuch war einfach auf dem Rasen ausgebreitet worden, aber vor jedem Couvert stand eine kleine Vase mit frischen, duftenden Blumen, Krystall und Silber blitzen um die Wette, und als man sich auf Plaids und Regenmänteln möglichst bequem um das Tuch gelagert hatte, gewährten wir in dem magischen Helldunkel, – nur in der Mitte der ‚Tafel‘ brannten auf silbernem, blumenumwundenen Armleuchtern zwei Kerzen, sonst waren wir auf das matte Licht der Lampions angewiesen – ein äußerst malerisches Bild; das Spiel der Lichter und der Schatten, der Wechsel von hell beleuchteten und vollständig im Dunkel verschwimmenden Figuren und der nachtschwarze Hintergrund, durch den nur ab und zu ein einsames Glühwürmchen seine weiche, leuchtende Wellenlinie zog, alles kam zusammen, dieses Bild wiedergebenswerth zu machen. Die Nacht war seltsam warm und windstill; kein Blatt regte sich, und wenn auch da und dort ein kleiner Ausschnitt des Nachthimmels durch die dichtbelaubten Buchenkronen blickte, so hob kein flimmerndes Sternchen sich ab von dem schwarzblauen Grunde – um uns und über uns athemloses Schweigen und tiefes, weiches Dunkel. In solchen Nachtstunden hat das Menschenauge einen eignen, nie geschauten Glanz, die Menschenstimme einen eignen, nie vernommenen Klang, und niemand konnte sich dem Zauber der Stunde entziehen, alle waren in einer gehobenen und doch wieder weichen, verschleierten Stimmung. Ich sah nach Leontine; – man hatte ihr einen Kranz von Eichen- und Epheublättern, mit blauen Glockenblumen durchflochten, aufgesetzt, und er stand ihr so seltsam-gut, daß ich mir im stillen gelobte, sie einmal so zu malen; – wer mir gesagt hätte, daß es für alle Zeit bei dem Vorsatze bleiben würde! – Das kleine Mahl ging so in einer gedämpften Heiterkeit hin, bis man sich einigermaßen an die Situation gewöhnt hatte; nach und nach wurde das Flüstern wieder zum Geplauder, die Gläser läuteten zuweilen ganz deutlich durch die Stille, und als der Champagner in den Lilienkelchen seine Perlenketten aufwärts schickte, war man allmählich so heiter geworden, daß ein normaler Deutscher anständigerweise anfangen konnte, melancholische Lieder zu singen, als da sind: ‚Ich weiß nicht, was soll es bedeuten‘ und ‚In einem kühlen Grunde‘. Mein Lombarde blies ganz hübsch die Flöte; er kletterte heimlich auf eine der Buchen und gab uns aus der Höhe des Geästs und zwischen Laubwerk versteckt ein kleines Konzert, mit dem er wohl nie wieder eine auch nur annähernd so befriedigende Wirkung erzielt hat, als in dieser Nacht. Der Deutsch-Ungar hatte nun gar das Waldhorn mitgebracht; er blies uns aus der Ferne Mendelssohns unvergänglich schönen ‚Abschied der Jäger vom Walde‘, und es bewegte mich eigenthümlich, daß Leontine ganz leise den Refrain vor sich hin sang, das allmählich verhallende ‚Lebewohl!‘ Der Journalist, der einst ein gesuchter Gesangverein-Tenorist gewesen, sollte ein Lied singen; er schien zu glauben, daß wir nun einmal in der Abschiedsstimmung seien, sie also auch beibehalten müßten, und so klang es denn wehmüthig ernst durch die lautlose Stille:

‚Morgen müssen wir verreisen
Und es muß geschieden sein,
Traurig ziehn wir unsre Straße,
Lebewohl, mein Schätzelein!

Kommen wir zu jenem Berge,
Schauen wir hinab ins Thal,
Sehn uns um nach allen Seiten,
Sehn die Stadt zum letztenmal.

Uebers Jahr zur Zeit der Pfingsten
Pflanz’ ich Maien dir vors Haus,
Bringe dir aus weiter Ferne
Einen schönen Blumenstrauß.‘


Ich fragte Leontine, wie ihr die Weise gefalle; sie sah nicht auf und erwiderte nachdenklich: ‚Gedicht und Melodie sind recht lieb, nur sollte die dritte Strophe fortbleiben, – dann wäre wohl mehr Einheitlichkeit der Stimmung im ganzen.‘ Ich verstand sie momentan nur sehr theilweise; die Worte sind mir aber später sehr klar geworden. – Die Damen ließen sich nach und nach auch vernehmen, aber jede brachte eine mehr oder minder melancholische Weise, und da mir daran gelegen war, keine wehmüthige Stimmung aufkommen zu lassen und die elegische Weichheit nicht zu begünstigen, in der sich Curt bereits befand, – er war schweigsam geworden und lauschte träumerisch und zerstreut

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Idealisten. , Leipzig 1880, Seite 605. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_51_58.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)