augenscheinlich aus auf die schliessliche Abreise der schwangeren Gattin aus dem Lager; und wenn Agrippina in der That nach Köln zurückgekehrt ist und dort ihr Wochenbett gehalten hat, so haben beide Historiker ungefähr so erzählt, wie wenn man von Friedensverhandlungen berichtet und deren Abbruch und die Kriegserneuerung weglässt.
Ich habe weiter die Möglichkeit erwogen, ob einer der beiden früh verstorbenen Söhne des Germanicus (S. 247) im Herbst des J. 14 geboren sein könne. Die Schwierigkeiten bei dieser Annahme
sagt Tacitus. Darauf folgt die Standrede, die dieser den Meuterern hält, der Umschlag der Stimmung und die Erklärung des Germanicus über die Rückkehr des Sohnes allein. Also legen doch auch bei ihm die Soldaten der abreisenden Agrippina Hindernisse in den Weg; und deutlicher noch tritt dies bei Sueton Gai. 9 in Beziehung auf den Sohn hervor in den Worten reprenso ac relento vehiculo. Es ist nicht weit von da zu Dios vergröbertem ὑπεκπεμφθέντας συνέλαβον. Das Wegwischen der feineren Nuancen und der Uebergänge ist eine der wesentlichsten Eigenthümlichkeiten der späteren Griechen. — Die vergleichende Kritik des taciteischen und des dionischen Berichtes ist in durchaus befriedigender Weise von Weidemann (Quellen der sechs ersten Bücher des Tacitus. Gleve 1868 S. 5) gegeben worden, der insbesondere richtig hervorhebt, dass Dio als vollendete Thatsache berichtet, was Tacitus darstellt als beabsichtigt, und dass Germanicus bei Dio, ganz anders als bei Tacitus, eine ziemlich klägliche Rolle spielt. Die gleiche Kritik bei Froitzheim Rhein. Mus. S. 344 f. scheint mir misslungen. 'Die Stelle', sagt er, ’reditum Agrippinae excusavit ob imminentem partum et hiemem enthält eine dreifache Unwahrheit‘. Davon besteht die eine in dem Widerspruch, in den die Stelle zu der Angabe über Köln als den Geburtsort der jüngeren Agrippina tritt; wobei aber eben vorausgesetzt wird, dass es sich hier um diese handelt. Die zweite soll darin bestehen, dass Tacitus sich hier insofern widerspreche, als nicht die Nähe des Winters und der Entbindung, sondern lediglich die Furcht vor der Meuterei die Entfernung der Agrippina veranlasst habe. Aber Agrippina war ja eben abgereist und vielleicht zur Zeit ihrem Bestimmungsort bei Trier näher als dem Kölner Lager, so dass Germanicus wohl Ursache hatte seine Gattin nicht den Unbequemlichkeiten auch noch der Rückreise auszusetzen. Ueberdies aber giebt Tacitus hier die Gründe an, die Germanicus den Soldaten gegenüber geltend machte, und selbstverständlich sprach er diesen nicht von einem etwaigen Wiederausbruch der Meuterei, sondern nur von den Reisebeschwerden. Die dritte 'Unwahrheit' soll darin bestehen, 'dass Köln genug Bequemlichkeit für ein Wochenbett darbot'. Aber hier war doch vielmehr der Beweis anzutreten, dass dies in der Villa bei Trier nicht auch der Fall war und Köln, damals Lagerstadt, für solche Vorkommnisse ein Monopol besass. — Noch mehr misslungen erscheint mir der Versuch (S. 347) Dios Erzählung so zu fassen, dass Agrippinas Rückkehr nach Köln sich damit vertrage.
Emil Hübner (Hrgs.): Hermes. Zeitschrift für classische Philologie. Weidmannsche Buchhandlung, Berlin 1878, Seite 259. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermes_13_259.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)