Germanicus selbst geht ab zu den obergermanischen Legionen. Gleichzeitig revoltirt das bei den Chauken stehende Detachement; doch wird auch diese Meuterei unterdrückt und dasselbe ebenfalls in das Winterlager geführt. Germanicus geht, nachdem er die obergermanischen Truppen in Pflicht genommen hat, zurück nach Köln. Es trifft die vom Senat an Germanicus nach dem Tode des Augustus abgeordnete Gesandtschaft ein, geführt von Plancus. Ihr Erscheinen ist das Signal zu einer neuen und schwereren Meuterei, deren Ausbruch den Feldherrn veranlasst die Gattin und den Sohn in das Gebiet der Trevirer zu senden; und in Folge dieser Wegsendung gelingt es ihm der Meuterer Herr zu werden, welche die Rückkehr der eben Entfernten erbitten. — Chronologisch genau lassen diese Vorgänge sich nicht fixiren; doch dürfte nach dem ganzen Verlauf der Erzählung die Wegsendung der Agrippina und ihres Sohnes erst einige Monate nach dem Tode des Augustus erfolgt sein.
Versuchen wir diesen Bericht mit dem zu vereinigen, was wir anderweitig über die von der Agrippina gebornen Kinder erfahren, so liegt es am nächsten denselben auf die älteste Tochter zu beziehen. Aber die Annahme, dass bald nach jener Meuterei die Julia Agrippina geboren worden ist, führt in ein Gewebe von Widersprüchen und Unwahrscheinlichkeiten, aus denen ein Ausgang nicht zu finden ist. Agrippinas Geburtstag wäre danach der 6. November 14; aber Sueton setzt die Geburt der drei Töchter in drei auf einander folgende Jahre und es ist schlechterdings
habe, so ist dies einmal nicht wahr; nachdem die Officiere aus ihren Privatkassen die von den meuterischen Soldaten geforderte Summe aufgebracht hatten, war es gewiss sehr edelmüthig, aber ganz und gar nicht selbstverständlich, dass sie weiter für die nicht meuternden Abtheilungen noch ebenso viel zusammenschossen. Und gesetzt, dies geschah, wie durfte der Schriftsteller den Abzug nicht etwa der meuternden, sondern der im Gehorsam gebliebenen Abtheilungen als turpe agmen bezeichnen? — Ebenso ist die Erzählung insofern entweder unrichtig oder unvollständig, als Gaecina hier die Legionen nach Köln führt, später aber (c. 48) auftritt als der commandirende Officier im Lager bei Xanten. Wahrscheinlich lautete der Schlusssatz des ursprünglichen nicht zerrütteten Berichtes ungefähr so: primam ac vicesimam legiones Germanicus (oder ein ihm untergeordneter Offizier) in civitatem Ubiorum reduxit, quintam et unam et vicesimam Caecina legatus in castra Vetera turpi agmine. Aber verschrieben ist hier sicher nichts; die Schuld geht höher hinauf. Die Commentatoren des berühmten Historikers thun nicht ihre Pflicht, wenn sie ihn vertheidigen wie der Advocat den Angeklagten.
Emil Hübner (Hrgs.): Hermes. Zeitschrift für classische Philologie. Weidmannsche Buchhandlung, Berlin 1878, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermes_13_257.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)