jungen Völkerschaften, die drei Jahrhunderte vorher erst in ihre Wohnsitze eingezogen waren, in Wohnsitze, in denen nicht tausendjährige Wissenschaft und Bildung, wie in Egypten und Afrika, vorhanden war, wenn diese den spanischen Mauren in den Wissenschaften nicht gewachsen waren. Seitdem aber waren die christlichen Völker erblüht und die Mauren entkräftet gesunken. Und woher hatten selbst zur Zeit Karls die Mauren ihre Künste, ihre Wissenschaften? vielleicht von ihren Vorfahren, die acht Tage lang mit der alexandrinischen Bibliothek die Bäder heizten? Und die in ihren besten Werken getreulich die vorhandenen Christenbauten nachbildeten? Hatten sie sie nicht vielmehr von den unterjochten Christen in Egypten, Carthago und Spanien, die hoch in allen Wissenschaften und Künsten glänzten und die selbst den Spitzbogen schon erfunden hatten?
Gurlitt schreibt weiter, „die Erkenntniß, daß es auch bei den muhamedanischen Ketzern außerhalb der Kirche eine Weisheit, eine Sittlichkeit und Gerechtigkeit auf Erden gebe, mußte den Zweifel an dem alleinigen Lehramt Roms wecken.“ Damit kann man alles beweisen und alles aus der Welt schaffen. Diese Erkenntniß hätte den „Evangelischen“ gerade so gut Zweifel an dem alleinigen Lehramte Jesu Christi wecken können.
Welchen Einfluß nun aber gar die Juden ausgeübt haben sollen, um den „evangelischen Predigtkirchengrundriß von Alby“ zu Wege zu bringen, dies zu ergründen, versagt auch die kühnste Phantasie. Mit der Behauptung, die Juden hätten allein „ernstlich“ die Naturwissenschaft betrieben, ist nichts gesagt. Sie besaßen ja in Nîmes, Carcassonne und Montpellier Schulen für Aerzte; man lese aber die Quacksalber-Recepte, um dieses „ernstliche“ Studium zu verstehen. Und wie die Medicin dabei auf die Architektur eingewirkt haben soll, ist uns bei aller Werthschätzung allgemeiner Culturzusammenhänge unverständlich. Und meint Herr Gurlitt etwa, daß die Juden ihrer Naturwissenschaft halber im „finsteren Mittelalter“ vertrieben worden seien, so wird sein Glaube an die beständig mit den Judenverfolgungen auftretende Phrase „finsteres Mittelalter“ heutzutage vielleicht etwas wankend.
Max Hasak: Die Predigtkirche im Mittelalter. Wilhelm Ernst & Sohn, Berlin 1893, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hasak_-_Die_Predigtkirche_im_Mittelalter_-_40.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)